Luise Adelgunde Victoria Gottsched

Der Frau Luise
Adelgunde Victoria
Gottschedinn, geb.Kulmus,
sämmtliche
Kleinere Gedichte,
nebst dem,
vonvielen vornehmen Standespersonen,
Gönnern und Freunden beyderley
Geschlechtes,
Ihr gestiftetem Ehrenmale,
und Ihrem Leben,

Leipzig,
bey Bernhard Christoph Breitkopfen u. Sohne
1763



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3. Schreiben.
An Fr. Christianen Marianen von Ziegler,
geb. Romanus, in Leipzig, 1733.

Hochwohlgebohrne Frau!

Du Wunder unsrer Zeit!
Verzeihe, daß mein Kiel sich noch bisher gescheut,
Den schwachen Dichter—Trieb auf deinen Ruhm zu lenken,
Und ihm ein schlechtes Lied von meiner Hand zu schenken.
Die Ehrfurcht hat nicht Schuld. Sie hätt es längst vollbracht:
Allein, wenn die Vernunft den Kräften nachgedacht,
Des Schilfes heisern Klang, den schwachen Geist entdecket:
So hat sie mich davon gleich wieder abgeschrecket.
Jetzt aber, da Dein Lob mit neuen Kräften steigt,
Und uns an Deinem Geist ein seltnes Wunder zeigt:
So will der starke Trieb den Zwang nicht weiter leiden,
Er reißt mich los von mir; ich kann es nicht vermeiden.

So nimm nun, Große Frau! ein spätes Opfer an,
Denn sing ich gleich nicht rein, so sing ich, wie ich kann;
Und glaube, daß der Kranz, der deine Scheitel zieret,
Nicht minder deiner Huld, als deiner Kunst gebühret.
Der Kranz, der Deutschland jetzt fast in Erstaunen setzt,
Und dessen man dein Spiel schon längstens werth geschätzt;
Den auch so gar der Neid schon zum voraus gesehen:
Nun muß er ganz beschämt selbst deinen Werth gestehen.
So siegt dein Lorber schon! So zeigt dein hoher Geist
Was seine Kraft vermag, was eine Ziegler heißt.
Ach! gieb dem Wunsche Raum; zeig unsern Deutschen wieder,
Auf deinem Seytenspiel ein Muster reiner Lieder!
Es sieht ja dein Geschlecht nunmehro nur auf Dich.
Du bist sein Oberhaupt. Darum verspricht es sich,

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Es wird sein alter Ruhm nicht nur behalten bleiben,
Du wirst ihn noch dazu gedoppelt höher treiben.
Man glaubt es auch mit Recht. Du fängst so herrlich an,
Daß man fast nichts von dir, als Wunder hoffen kann.
Man wird dich künftig hin als Deutschlands Pallas preisen.
O! möchtest du mir doch die seltne Huld erweisen,
Daß ich in deinem Chor könnt eine Nymphe seyn!
Ich weis die Antwort zwar! Mein Rohr ist zu gemein,
Und wer Minerven folgt, der muß viel reiner singen,
Allein es wird durch dich sich noch wohl höher schwingen.
Ja! denn dieß Meisterstück wär auch das erste nicht,
Das deiner Laute Schlag, und deine Hand verricht,
Die Hand, die deinen Kiel trotz allen Männern führet,
Und die das Musenchor mit neuer Ehre zieret.

Nun! seltne Dichterinn! Ich schließe dieses Blatt,
Das seinen ganzen Werth von Deinem Namen hat.
Erlaube meiner Hand noch dieß hinzu zu schreiben:
Ich werde jederzeit mit wahrer Ehrfurcht bleiben,

Hochwohlgebohrne Frau,
Gnädige Frau,
Eurer Hochwohlgeb. Gnaden
den 21. Sept.
1733
ergebenste und gehorsamste
Dienerinn
Kulmus.