Luise Adelgunde Victoria Gottsched

Der Frau Luise
Adelgunde Victoria
Gottschedinn, geb.Kulmus,
sämmtliche
Kleinere Gedichte,
nebst dem,
vonvielen vornehmen Standespersonen,
Gönnern und Freunden beyderley
Geschlechtes,
Ihr gestiftetem Ehrenmale,
und Ihrem Leben,

Leipzig,
bey Bernhard Christoph Breitkopfen u. Sohne
1763



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4. Schreiben.
An die Jungfer Zäunemanninn in Erfurt,
1734.

Poetinn! welche sich der edlen Dichtkunst weiht,
Mich hat schon längst Dein Geist, und jüngst Dein Brief erfreut.
Wie sträflich würd es seyn, wenn ich auf Deine Zeilen
Die Antwort schuldig blieb'? Ich muß sie Dir ertheilen.
Doch wo Dein kluger Geist allhier in dieser Schrift
Nichts anders, als den Klang verstimmter Säyten trifft:
So wundre Dich nur nicht. So pfleg ich stets zu singen:
Ich kann den Musen noch kein reines Opfer bringen.

Die Bogen, welche Du mir neulich zugesandt,
Sind Proben Deiner Kunst. Es zeiget Dein Verstand,
Daß Dein beherzter Geist Dir nie den Muth versaget,
Wenn Dein entflammter Trieb das laute Singen waget.
Doch, muntre Dichterinn! Dein hochzeitlich Gedicht,
(Ich sag es frey heraus) versteh ich wahrlich nicht.
Allein ich weis es wohl, es ist mir beyzumessen,
Und meiner Einfalt Schuld. Hätt ich die Kunst besessen,
Die Du so wohl verstehst; so wär es auch geschehn,
Daß ich den tiefen Sinn genauer eingesehn.

Indessen fahre fort im Dichten und im Singen;
So kannst Du Dich dereinst bis zu den Musen schwingen
Es ist uns ohne dem ein leichter Weg gebähnt,
Nach welchem sich der Kiel zur Reinigkeit gewöhnt.
Wie Canitz, Opitz, Dach und Gryphius gesungen,
Wie hoch, wie rein und neu dort Günthers Lieder klungen,
Das ist Dir ja bewußt: Drum folge dieser Bahn,
Damit dich Lob und Ruhm dereinst begleiten kann.
Doch was? Ich sage mehr! Mann kann bey Leipzigs Linden
Ja die vereinte Zahl der reinsten Dichter finden.

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Da spielt noch überdieß die muntre Zieglerinn.
Gewiß, ich werfe schon oft Blatt und Feder hin,
Und seufze: Kann ichs nicht so hoch als diese bringen;
So will ich nimmermehr, und sollt ich sterben, singen.
Der allzuschnelle Schwur ist aber kaum geschehn,
So läßt mich Phöbus was von ihrer Arbeit sehn:
Da krieg ich wieder Lust, und kann mich nicht enthalten
Das Meistersängeramt am Pindus zu verwalten.
Ich sehe zwar den Bann, der Geist und Sylben zwingt,
Und daß mein Schilf nicht so, als ihre Laute klingt;
Doch denk ich, kannst du ihr gleich niemals ähnlich werden,
So sey sie dennoch stets dein Vorbild auf der Erden.

Den Vorschlag, den Du mir in Deiner Schrift gethan:
Ob mir Dein muntrer Kiel noch weiter schreiben kann?
Den würd ich ganz gewiß wohl nimmermehr verwerfen;
Wüßt ich nur meinen Kiel so schnell als Du zu schärfen.
Die Musen schenken mir sehr selten ihre Huld,
Drum seufz ich oftermals, und fast mit Ungeduld:
Wenn ich den ganzen Tag auf Phöbus Gnade laure,
Und oft noch mehr die Zeit, als meine Quaal, bedaure.
Wie kömmt das? Die Vernunft prüft stets mein Seytenspiel!
Die Tugend ist mein Zweck, die Wahrheit ist mein Ziel.
Das, was der Wohlstand haßt, was reine Seelen meiden,
Das kann ich ewig nicht in meinen Schriften leiden.
Wär dieses nicht, wie schnell wär mancher Bogen voll!
Ich seh auch überdieß, und weis es gar zu wohl,
Daß, ob gleich mein Geschlecht schon manchen Geist gezeiget,
Zu dem die Musen sich, mit ihrer Kunst geneiget;
Ob gleich die Schurmanninn, die ganz Europa kennt,
Die Lambert, und Dacier sich unsre Schwester nennt;
So könnte sich mein Kiel doch wohl den Schimpf erwerben,
Und was sie gut gemacht, vieleicht noch gar verderben.
Gewiß! ich nähme nicht den halben Weltkreis ein,
Und wollte dieser That hernachmals schuldig seyn.
Da siehest du den Grund, der mich zum Schweigen zwinget,
Und sein Verboth auch selbst auf unsern Wechsel bringet.

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Ich schließe: Lebe wohl! ich danke Dir zuletzt,
Daß Du mein schlechtes Werk des Beyfalls werth geschätzt;
Und wünsche, daß uns einst Dein Griffel überzeuge,
Daß auch ein Weiberkiel, trotz Männer—Federn steige.