Luise Adelgunde Victoria Gottsched

Der Frau Luise
Adelgunde Victoria
Gottschedinn, geb.Kulmus,
sämmtliche
Kleinere Gedichte,
nebst dem,
vonvielen vornehmen Standespersonen,
Gönnern und Freunden beyderley
Geschlechtes,
Ihr gestiftetem Ehrenmale,
und Ihrem Leben,

Leipzig,
bey Bernhard Christoph Breitkopfen u. Sohne
1763



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5. Ode.
Die Möglichkeit, in allen Ständen tugendhaft
zu seyn; an ihrer ältern Schwester Namens-
tage entworfen, im Jahr 1731.

Erlauchte Kronen! Euer Licht,
So mit verklärten Stralen blitzet,
Macht ietzo meinen Geist erhitzet,
Daß er aus seinen Schranken bricht.
Ich will ihn nicht zum Schweigen zwingen,
Er fliehe, weil er fliehen will!
Ich aber bin indessen still,
Und hör ihn euer Lob besingen.
Denn wer die Weisheit will erblicken,
Muß keinen edlen Trieb ersticken.



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So recht! er tritt den Lauf schon an,
Und eilet zum Gemach der Ehren,
Allwo man vieles sehn und hören,
Doch noch weit mehrers denken kann.
Hier siehet er erhabne Stuffen,
Die Gold und Diamant beschließt,
Das tausend Stralen von sich schießt,
Und höret diese Worte ruffen:
Wer solche Hoheit will erlangen,
Der muß mit wahrer Tugend prangen.

Was für ein Glanz verblendet mich!
Ist dieß Gemach dem Phöbus eigen,
Aus dem so viele Blitze steigen:
Nein! Kron und Zepter zeigen sich.
O schöner Schmuck für weise Sinnen!
O seltner Stab voll Glanz und Licht!
Durch den die Themis selber spricht,
Du treibst der Thorheit Nacht von hinnen;
Weil alle Würde die dich zieret,
Nur einem weisen Geist gebühret.

Wie kann es auch wohl anders seyn?
Wo solche Hoheit sich vereinet,
Und mit verklärten Stralen scheinet,
Da kehrt Minervens Feuer ein.
Sie will sich nur in Purpur kleiden,
Nur auf erlauchten Stuffen stehn,
Nur Kron und Scepter vor sich sehn,
Die schlechten Hütten muß sie meiden.
Weil jenes ihren tiefen Sätzen,
Zwar kaum, doch etwas gleich zu schätzen.

So schwung sich vormals ein August,
Auf Roms erhabne Ehren—Stuffen
Man hörte jeden freudig ruffen:
Er ist des ganzen Landes Lust!

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Das schwarze Heer verbrannter Mohren,
Dem nur der Nil den Trank verschafft,
Erkannte seiner Tugend Kraft,
So ihn zum Kaiserthum gebohren.
Ja, ganz entfernter Völker Söhne,
Vermehreten sein Lobgetöne.

So herrschte nachmals Constantin,
Als Vater seiner Unterthanen,
Er ließ den Weg zur Freyheit bahnen,
Dieß stärkte, dieß ergötzte ihn.
Das arme Volk bedrängter Christen
Sah ihn als seinen Schutzgott an,
Es scheuete kein Arm, kein Mann,
Sich wider seinen Feind zu rüsten.
Denn bey den allerschärfsten Kriegen
Blieb Constantin doch stets im Siegen.

So herrschte vormals Friederich,
Der erste König seiner Preußen.
So herrschete das Haupt der Reußen,
Der große Petrus, über sich.
Sie dämpfeten die Lasterflecken,
Das Gift der wilden Barbarey;
Und der Bedrängten Angstgeschrey
Konnt ihrer Großmuth Huld bedecken.
Drum wird auch selbst der Neid bekennen,
Man müß' ihr Lob unsterblich nennen.

So herrscht noch ietzt der Held August,
Indem sich Macht und Huld vereinen.
Er ist ein weiser Schutz der Seinen,
Des ganzen Landes reinste Lust.
O möchte, großes Haupt der Sachsen!
Trotz der gewohnten Sterblichkeit,
Die Rechnung deiner Lebenszeit,
Wie deines Volkes Klugheit wachsen;

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So würdest du auf dieser Erden,
Noch älter als ein Nestor werden.

Genung! es ist ein fester Satz,
Daß sich der Tugend reines Wesen
Nur Kron und Zepter auserlesen,
Nur eines hohen Thrones Platz.
Mein Geist, du sorgest nur vergebens
Dem Licht der Weisheit nachzugehn;
Du wirst sie stets von ferne sehn,
Dieß ist das Schicksal deines Lebens:
Das, da es dich nicht hochgebohren,
Auch nicht zur Tugend auserkohren.

So wie der Rose leichtes Blatt,
Wenn Sturm und Wind die Bäume beuget,
Sich ganz verwelkt der Erden neiget,
Und weder Saft noch Farbe hat;
So fühl ich ietzt ein finstres Schrecken,
Mein ganz verzagtes mattes Herz,
Empfindet nichts, als Angst und Schmerz,
Und will mich mit Verzweiflung decken.
Denn der hat niemals recht gelebet,
Der nicht der Tugend nachgestrebet.

Gemach! gemach! was zeigt sich mir?
Ich seh des Nero freches Wesen!
Man kann aus Aug und Stirne lesen:
Die Wuth war meine größte Zier.
So Thron als Purpur ist beflecket.
Des Zepters seltne Kostbarkeit,
Zusammt der Kronen Herrlichkeit,
Ist ganz mit Nattern überdecket;
Die sich mit Agrippinens Schatten,
Und andern Grausamkeiten gatten.



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Ich seh des Caracalla Geist,
In dessen Brust ein Kain wohnet,
Der seinen Bruder nicht verschonet,
Den selbst die Themis grausam heißt.
Sein unumschränktes Schwert im Morden,
Das auch die Weisen selbst verhöhnt,
Und ihren Fleiß mit Blut gekrönt,
Ist jetzt auf ihn gekehret worden.
Dieß war die Wollust seines Herzens,
Dieß ist die Ursach seines Schmerzens.

Hier folgt der Höllen liebster Sohn,
Caligula, das Ungeheuer!
Ein innerliches Seelen—Feuer
Ist ihm anjetzo Kron und Thron.
Dort kommt ein Galba hergegangen,
Der mehr das Gold als Rom geliebt,
Und welchen dieses nur betrübt,
Daß ihn der herbe Tod gefangen.
Ja dorten seh ich in der Mitten,
Domitians ergrimmtes Wüten.

Halt ein, im Zorn entbrannter Kiel!
Dieß ist genug uns zu entdecken,
Daß auch in Kronen Laster stecken,
Sonst schiltst und zürnest du zu viel.
Ja, ja, wir sehen täglich Proben,
Daß auch ein solcher Laster übt,
Und nur der Wollust Spuren liebt,
Der sich zu Thron und Kron erhoben.
Wie selten wird ein weises Leben,
Mit ihrem heitern Glanz umgeben.

O theure Weisheit! seltner Schatz!
Wer deine Würde kann erkennen,
Der muß vor Tugendeifer brennen,
Und doch giebt man dir selten Platz!

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Du legst umsonst die hohen Schulen,
Zu unsrer Geister Wachsthum an,
Man trachtet doch so viel man kann,
Verruchten Lastern nachzubuhlen;
Doch sieht man deine weise Lehren,
Durch blinden Aberwitz verkehren.

O! daß dein Eifer nicht ergrimmt,
Und solcher Geister falsches Pralen,
Mit Blitz und Donner will bezahlen,
Und ihres Sitzes Fall bestimmt.
Doch nein! Minervens sanftes Wesen
Gebrauchet sich der Stärke nicht;
Ihr Auge, voller Glanz und Licht,
Giebt niemals Zorn und Wuth zu lesen.
Der Himmel muß sie selber rächen,
Und ihrer Feinde Wüthen brechen.

Indessen aber soll mein Herz
Dir ewiglich ergeben bleiben,
Dir will ich mich durchaus verschreiben,
Trotz aller Noth, trotz allem Schmerz!
O leite du nur meine Sinnen!
Erleuchte meinen blöden Geist,
Der sich aus seinen Schranken reißt,
Dich theure Weisheit! zu gewinnen.
O zeige mir der Tugend Spuren!
O lenke mich auf ihre Fluren!

Vermehre deiner Kinder Fleiß,
Befördre ferner ihre Schriften,
Die dir so manches Loblied stiften;
Die man nicht gnung zu schätzen weis.
Laß ihrer Flöten reines Singen,
Noch lange Zeit dein Herold seyn,
So wird dein ganz verklärter Schein,
Auch zu der Nachwelt Ohren dringen.

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So wird man auch von ihnen lesen:
Sie sind dir ewig treu gewesen.

Concordia, dieß ist ein Ruhm,
Den man auch dir wird geben müssen.
Du liebest ja ein gründlich Wissen;
Die Tugend ist Dein Eigenthum.
Ich sehe mit erfreuten Sinnen,
Dein löbliches Bemühen an,
Daß sich befestigt schauen kann,
Und Dir noch vielen Ruhm gewinnen.
Es werden also diese Zeilen,
Dir den geringsten Ruhm ertheilen.

Dennoch nimm dieses Opfer hin,
So Dir die reinste Treue weihet,
Und diesen alten Satz erneuet!
Daß ich Dir ganz ergeben bin.
Ich will Dich stets als Freundinn lieben,
Dein Wesen, welches mir gefällt,
Sey mir zum Muster vorgestellt,
Mich allezeit darnach zu üben.
Vollstrecke nur Dein tiefes Wissen,
Und laß mich Deiner Huld genießen.

Du unterhältst ja selbst den Schluß,
Daß sich der Weisheit reines Lehren
An keine hohe Würde kehren,
Nicht lauter Kronen wählen muß.
Dein Wandel kann uns täglich zeigen,
Wie richtig diese Wahrheit sey,
Und prophezeihet mir dabey,
Wie hoch Dein Wissen einst wird steigen.
Der Himmel mehre Deine Kräfte
Zu diesem nützlichen Geschäfte.



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Nun, theure Schwester! sey beglückt,
Ich werde für Dein Wohlseyn flehen.
Und mich erfreut und glücklich sehen,
Wenn Deinen Geist kein Kummer drückt.
Ja, wenn dereinst mein Leib die Höhle
Der finstern Gruft des Grabes füllt,
Und sich in Leichentücher hüllt,
Dann sprich von mir: O theure Seele!
Ich hätte dich zwar oft gepriesen,
Doch nie zu großen Ruhm erwiesen.