Luise Adelgunde Victoria Gottsched

Der Frau Luise
Adelgunde Victoria
Gottschedinn, geb.Kulmus,
sämmtliche
Kleinere Gedichte,
nebst dem,
vonvielen vornehmen Standespersonen,
Gönnern und Freunden beyderley
Geschlechtes,
Ihr gestiftetem Ehrenmale,
und Ihrem Leben,

Leipzig,
bey Bernhard Christoph Breitkopfen u. Sohne
1763



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3.Ode.
Auf den Fall eines vornehmen Ministers
in Rußland. 1727. den 25. Nov.

Wie glücklich ist der Mensch, der hoch gebohren ist:
Sein reiner Geist zertheilt den Nebel eitler Sorgen,
Den mancher Erdenwurm statt seiner Speise frißt,
Und darf nicht den Verstand von seinem Golde borgen;
Er dringt durch diesen Dunst, der vieler Augen blendet,
Weil er durch solchem Tand nicht seine Zeit verschwendet.

Er beut dem Ungemach die Heldenstirne frey,
Ihm muß der falbe Neid vor Gift nur Zucker kochen.
Minerva waffnet ihn, damit er sicher sey,
Er kann mit freyem Muth den Lästerzungen pochen.
Die Tugend krönet ihn mit ihren Lorberzweigen,
So kann er sich beherzt, und auch vollkommen zeigen.

Allein ich rühme nicht den äußerlichen Schein.
Den man natürlich kann von seinen Aeltern erben.
Durch unsers Schicksals Macht kann er vergänglich seyn,
Wenn Geld und Glück vergeht, muß dieser mit verderben;
Weil er sich nur auf Glück, nicht auf Verdienste gründet.
Was Wunder, daß er auch so bald wie dieß verschwindet?

Der Treue seltnes Gold wird öfters nicht geacht:
Wenn die Verrätherey das Garn zum Netze webet:
Hätt' es die große Schaar der Menschen wohl gedacht,
Daß der von Menczikov iezt so verächtlich lebet?
Ihn hat nicht die Geburt, nicht seine Macht erhalten,
Denn fällt des Fürsten Gunst, muß diese bald erkalten.



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Jetzt nagt den siechen Leib ein kummervoller Sinn,
Und dieser Schauder fährt durch dessen morsche Glieder;
Dieß harte Donnerwort reißt sein Ergetzen hin:
Dein Glücke hob Dich hoch, ietzt drücket es Dich nieder,
Ja jeder Augenblick verursacht neuen Schmerzen,
Der Menschen Tadeley sind seine Freudenkerzen.

Ein Schreck—Comete stellt sich ihm im Schlafe für.
Die Ohren hören nichts als Donnerschläge schwirren:
Das Schicksal schließet ihm anietzt die Gnadenthür;
Er muß im Labyrinth des Elends ewig irren.
Ach! möchte jetzt der Geist den matten Leib verlassen,
Wie freudig würd er so den grausen Tod umfassen!

Allein dergleichen Wunsch versäumt des Todes Stahl;
Wenn wir bereitet sind, so will er uns nicht fressen:
Er setzt uns nicht nach Wunsch in seines Reiches Zahl,
Und will nicht allezeit uns unsre Lust erpressen.
Nur der es nicht begehrt, und jetzt den Nächsten meistert,
Wird von des Todes Hand im Augenblick entgeistert.

Auch diesen rohen Feind verschmäht ein hoher Geist,
Der, wie ich vor gesagt, den Weg der Tugend wandelt;
Der allen Lasterschaum wie Spinnenwerk zerreist.
Und der mit seiner Zeit wie mit Juwelen handelt:
Der sich vom Uebermaaß der Eitelkeiten trennet,
Und nur Minervens Kunst für seine Lust erkennet.

Er baut nicht seinen Ruhm auf großer Herren Gunst:
Weil er die Wahrheit liebt, so kann er keinem häucheln.
Die Welt verewigt ihn, nicht durch der Leute Kunst,
Denn diese hält gar oft die Götterkost für Eicheln.
Sein Nachruhm bleibet fest, ob gleich die Welt vergehet.
Weil er auf festerm Grund, als dort Colossus, stehet.