Luise Adelgunde Victoria Gottsched

Der Frau Luise
Adelgunde Victoria
Gottschedinn, geb.Kulmus,
sämmtliche
Kleinere Gedichte,
nebst dem,
vonvielen vornehmen Standespersonen,
Gönnern und Freunden beyderley
Geschlechtes,
Ihr gestiftetem Ehrenmale,
und Ihrem Leben,

Leipzig,
bey Bernhard Christoph Breitkopfen u. Sohne
1763



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2. Schreiben.
An Herrn D.Johann Adam Kulmus, zu
seinem Namenstage, 1732.

Mein Vätter! nimm dieß Blatt von meiner Feder an,
Die Dir für Deine Huld nur Worte zollen kann.
Doch nein! Es widmet Dir sich gleichfalls mein Gemüthe,
Und hierzu zwinget mich Dein Werth und Deine Güte.
Den ersten kennet schon der meiste Theil der Welt:
Ich meyne den, dem Kunst und Wissenschaft gefällt;
Denn dieser ist gewiß das reine Salz der Erden,
Wodurch man nur geschimpft, und nur gelobt kann werden!

Die letzte zeiget mir sich täglich durch die That;
Denn da der Himmel mich, Dir überliefert hat,
Da Dich mein Vater mir zum andern Vater setzte,
(O Lust und Quaal! die mich erfreute und verletzte.)
So zeigt mir jeder Tag das Glücke dieser Wahl,
Du sorgest für mein Wohl, Du mehrest dessen Zahl.
Es ist nur die Natur, so mich noch überführet,
Das meines Vaters Herz ein Todespfeil gerühret.

Gedächtniß, voller Gram! Mein Vater! laß es zu,
Daß der betrübte Kiel allhier recht zärtlich thu.
Doch nein! Ich werd auf ihn, und auf ein Angedenken,
Mit ehestem den Trieb der schwachen Muse lenken.
Dieß hindert großer Mann! mich auch vor jetzo noch;
Drum steiget heute nicht die Poesie so hoch,
Als es Dein Lob erheischt. Laß nur mein mattes Singen
Der theuren Asche noch ein Thränenopfer bringen.
So bald denn aus der Gruft, die seinen Leib umschleußt,
Die neue Muse sich mit neuen Kräften reißt;
So soll sie sich zu Dir und Deinem Lobe schwingen,
Und einem Adler gleich zu Deiner Höhe dringen.



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Der Höchste decke Dich mit Allmachstflügeln zu,
Er mehre Deine Kraft, er schenk Dir wahre Ruh.
Und soll bey deinem Lauf kein Zeiger rückwärts gehen:
So laß uns doch der Herr an Dir das Wunder sehen,
Was ehemals durch ihn in Gibeon geschah,
Da man der Sonnen Stand gedoppelt länger sah!
Es wird sich ohnedieß, ich will es prophezeihen,
Des Todes kalter Arm vor Dir, mein Vätter, scheuen.
Warum? so viele Kunst, so vieler Aerzte Preis,
Die man aus Griechenland, und Rom zu schätzen weis,
Die sind in dir erneut, und also noch auf Erden:
An denen wird er nicht noch einst zum Mörder werden.
Ich ehre diesen Tag, der deinen Namen führt,
Und schwöre bey dem Ton, der meine Flöte rührt:
Ich werd ihn nimmermehr in Tagebüchern sehen,
Daß nicht mein Herz zugleich auch für dein Wohl wird flehen.

Ach nimm dich ferner nur auch meines Wohlseyns an,
Und bleibe mein Achat. Noch mehr, gepriesner Mann!
Mein Vater schenkte mir theils meinen ersten Morgen,
Theils übertrug ers dir, für all mein Wohl zu sorgen.
Du weist, ich such es nicht, in Ehrsucht, Geiz und Lust,
Nein! dieses ist kein Glück, das ist mir längst bewußt.
Wie elend ist ein Mensch, der sich hierinnen weidet,
Und heimlich mit Verdruß ein ruhig Herz beneidet;
Der, wenn er seine Lust bey Gold und Geiz vergißt,
Den Kummerfaden stets mit langen Stäben mißt.
Ich suchs — Du weist es schon — Gott mehre deine Stunden!
Ich bleibe, theurer Mann! Dir ewiglich verbunden.