Luise Adelgunde Victoria Gottsched

Der Frau Luise
Adelgunde Victoria
Gottschedinn, geb.Kulmus,
sämmtliche
Kleinere Gedichte,
nebst dem,
von vielen vornehmen Standespersonen,
Gönnern und Freunden beyderley
Geschlechtes,
Ihr gestiftetem Ehrenmale,
und Ihrem Leben,

Leipzig,
bey Bernhard Christoph Breitkopfen u. Sohne
1763



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Ode.
An dem Hohen Geburtstage Ihro Rußische
Kaiserl. Majestät
Anna Ivannovna
den 28. Jan. a. st.1733.

So schleunig fliegt kein Pfeil zum Ziel,
Kein Adler zu den steilsten Höhen,
Als heute meinen schwachen Kiel
Die muntern Musen dichten sehen.
Die Regung überwindt die Macht,
So seinen Wiederstand bewacht,
Und ihn so lange schweigen heißen;
Er bricht hervor, gleich einer Glut,
Und will, als eine starke Flut,
Aus Dämmen, Wall und Gränzen reißen.

Er ist es sonst ja nicht gewohnt,
In kurzer Zeit so schnell zu steigen.
Will etwa sich des Aufgangs Mond
Dem deutschen Boden wieder zeigen?
Wie? Heißt ihn wieder ein Eugen
Mit Furcht und Zittern stille stehn,
Und aus den Schwertern Sicheln schmieden.
Ach nein! der meiste Theil der Welt
Ist längst vom Kriege hergestellt,
Es herrscht fast überall der Frieden.



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O Kaiserinn, Dein Fest allein
Kann meiner Dichtkunst Zunder geben.
Wenn alle Sinnen schläfrig seyn,
So weis Dein Stral sie zu beleben.
Ich dichte zwar mit Furcht und Scheu,
Ich weis, mein Rohr ist noch zu neu,
Dein hohes Lob recht zu besingen;
Jedoch, da mich Dein Adler zeucht,
So werd ich, wenn er aufwärts fleugt,
Vieleicht auch mich noch höher schwingen.

Wie glücklich ist dein weites Reich!
Wie muß man sein Geschick beneiden!
Wie weis es Stuhl und Thron zugleich,
So wohl und würdig zu bekleiden!
Der große Peter, den die Welt
Noch immer für ein Wunder hält,
Der fieng schon an sein Glück zu gründen.
Der Wissenschaften seltner Fleiß,
Des Handels Nutzbarkeit und Preis,
Die wußt er weislich zu verbinden.

Wie stand es um den Musenhäyn,
Eh ihm sein weites Land geschworen?
Hier hattePhöbus seinen Schein,
UndPallas ihre Kraft verlohren.
Doch, Peter, half ihm wieder auf:
Noch mehr! Er ließ zugleich den Lauf
Der weiten Wolga schiffbar werden;
Dadurch erhielt der Handelsmann,
Seht, was der Fürsten Weisheit kann!
Sein andres Leben auf der Erden.

In kurzem ward dem Erdball kund:
Es stirbt der Russen erster Kayser!
Wie traurig rief dieß Famens Mund!
Es welken PetersLorberreiser.

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Ach Himmel! rief das ganze Land,
Ist dir sein Wesen unbekannt?
Das kannst du uns nicht wieder geben!
Ist unsre Krone gleich voll Pracht,
So hat sie dennoch nicht die Macht,
Ein Haupt mit Weisheit zu beleben.

Doch! Peter wußte nicht allein
Im Leben weisheitsvoll zu handeln:
Es konnt auch selbst des Todes Pein
Nicht sein erlauchtes Herze wandeln.
Er dacht an sein verlaßnes Reich,
Und schenkte selbigem zugleich
Das große Muster seltner Frauen.
Dieß, sprach er, ist die weise Brust,
Die künftig hin nach aller Lust
Auch euer Glück und Wohl wird bauen.

Sie that es auch. Man sah das Glück
Um Rußlands weite Gränzen grünen.
Es konnt ihr gnadenvoller Blick,
Dem Volk statt einer Sonne dienen.
Es ward, nach einer schwarzen Nacht,
Ein neues Licht hervor gebracht,
Das sich fast doppelt hell ließ sehen.
Doch das erzürnete Geschick
Rief diese gleichfalls bald zurück,
Und ließ sie schleunig untergehen.

Hierauf bestieg den Kaiserthron,
Der zweyte Peter, dessen Wesen
Minerva sich zum eignen Sohn,
Und Mars zum Liebling auserlesen.
Sein Frühling zeigte schon der Welt,
Was man sonst kaum für möglich hält.

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Ein Held wird schon als Held gebohren;
Das Alter, die Erfahrenheit,
Sind gleichsam nur zur Trefflichkeit
Den niedern Seelen auserkohren.

Jedoch es schien der Unbestand
Sey nur mit Rußlands Thron verbunden.
Es hat sein Glücke kaum erkannt,
So ist es wiederum verschwunden.
Den Kaiser deckt ein frühes Grab!
Des strengen Schicksals Urtheilsstab
Droht nur mit Donner, Blitz und Schlägen;
Der, greift er auch den Lorber an,
Wohl andre Stämme splittern kann,
Die sich nicht selbst zu schützen pflegen.

Das Land war wiederum verwayst!
Doch noch vom Himmel nicht verlassen.
Die Hand, die solches fallen heißt,
Die weis es wieder aufzufassen.
Ja, was noch mehr! Es scheint so gar,
Sie droht nur darum mit Gefahr,
Es nachmals desto mehr zu heben:
Und sie zerstörte dessen Thron,
Um Zepter, Purpur, Reich und Kron
Noch einer weisern Brust zu geben.

So gieng es Rußland in der That,
Als Anna dessen Thron bestiegen!
Die Fürstinn, die nichts gleiches hat,
Vor der sich auch die Feinde schmiegen:
Die Fürstinn, deren hoher Geist,
Den Lastern sich so stark entreißt,
Als Pallas sich demselben weihet;
Auf Deren weises Fürstenhaupt,
Der Neid, was er sonst gerne raubt,
Die frischen Lorberkränze streuet.



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Ach große Kaiserinn! Wie weit
Entzeuchst du dich dem Lauf der Erden!
Du wirst durch deine Gütigkeit
Noch endlich übermenschlich werden.
Wie trefflich hat doch der gewählt,
Der dein unsterblich Lob erzählt!
Hier darf die Dichtkunst niemals dichten.
Sie kann, so selten es geschieht,
Daß man sie gar nicht häucheln sieht,
Sich hier nur nach der Wahrheit richten.

Hier braucht man keinen Göttersaal,
Das Hirngespinste der Poeten;
Die Götter müssen allzumal
Vor deinen Tugenden erröthen.
Es weicht dir Juno schon an Pracht;
Minervens weiser Vorbedacht
Regiert in dir und deinen Schlüssen.
Dein Glück und Vortheil in dem Streit
Wird noch vieleicht zu seiner Zeit
Ein frecher Feind erfahren müssen.

Daß dieser weite Erdenball
Noch in den alten Schranken bleibet:
Daß noch kein wunderbarer Fall
Die Sterne zu dem Abgrund treibet:
Daß Abend, Dämmerung und Nacht
Noch stets der Sonne Platz gemacht,
Daß Bäume blühn und Früchte tragen;
Zeigt uns die allerklärste Spur
Des weisen Schöpfers der Natur,
Der ihr die Gränzen vorgeschlagen.

Dem ahmst du, große Fürstinn! nach!
Wer kennet nicht die wilden Scythen?
Doch ietzt verschwindt das Ungemach
Der vormals rauhen Moscowiten.

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Du kennest ihre Fähigkeit!
Drum schaffest du Gelegenheit,
Den muntren Musen nachzubuhlen.
Wie man die Trägheit bald zertheilt,
Zum wahren Ehrentempel eilt,
Lehrt man auf deinen hohen Schulen.

Sie sehn auch Deine Tugend ein,
Und seufzen für Dein hohes Leben.
Ach Himmel! Kann es möglich seyn,
So wollst du ihm kein Ende geben!
In Tempeln, vor dem Bethaltar,
Findt man die eifervolle Schaar.
Hier stehen aller Herzen offen!
Hier seufzt das ganze Volk zugleich!
Wer sollt in einem kalten Reich
Dergleichen heiße Seufzer hoffen!

Ach Kaiserinn! Die Tyranney
Ist ietzt nichts seltnes mehr auf Erden.
Wer siehet nicht mit Schmerz und Reu,
Ihr Gift fast täglich stärker werden?
Allein der Fürsten weise Huld,
Derselben Langmuth und Geduld
Sieht man fast als Verweyste gehen.
Du nimmst dich dieser Pilger an,
Und lehrest dadurch jedermann,
Sie werden ewig bey Dir stehen.

Entschlafne Dichter! Reißt einmal
Die Riegel von den finstren Grüften!
Was mehret ihr die große Zahl
Vermorschter Körper in den Klüften?
Kommt! Lenkt den ausgeruhten Sinn
Auf Rußlands große Kaiserinn.

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Umsonst! Wer kann euch aufwärts treiben!
Wohlan, so stelle Wälschland gar
Uns einen neuen Maro dar,
Der fähig sey sie zu beschreiben.

Ihr, die ihr euch den Lauf der Zeit
Mit Zahlen und Gewichten kürzet;
Und oftmals doch in Dunkelheit
Das Leben nur mit Marter würzet.
So wenig es euch möglich ist,
Das, was die ganze Welt vermißt,
Die allerhöchste Zahl, zu finden:
So wenig wird man auch das Ziel,
Die Kunst steig auch so hoch sie will,
Von Annens Trefflichkeit ergründen!

O Kaiserinn, so lebe doch!
Wer will Dir nicht das Leben gönnen?
Wo ist wohl ein Verdienst so hoch,
Das Deines sollt ersetzen können?
Und wer verdient das Leben mehr,
Als der die Künste frey Gehör,
Die Unterdrückten Schutz läßt spüren?
Dem die bedrängte Dürftigkeit,
Bevor sie noch um Hülfe schreyt,
Das edle Herze weis zu rühren?

O mehr als seltne Kaiserinn!
Wie hat sich doch mein Kiel vergangen!
Wie hat doch der vermeßne Sinn,
Sich Deines Lobes unterfangen!
Ach Fürstinn! ist noch nie das Recht
Bey deinem Regiment geschwächt,
Welch Urtheil wirst Du mir wohl fällen?
Wie? Wirst Du nicht der Frevelthat,
Die keine Huld verdienet hat,
Die höchste Strafe zugesellen?



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Wie? Ist mir denn so ganz und gar
Des MarsiasGeschicht entfallen?
Wie? Oder ists vielleicht nicht wahr,
Was Fama neulich ließ erschallen:
Als hätt Apollons ächter Sohn
Dir einen völlig reinen Ton,
Auf seiner Flöte, vorgeschlagen.
Nicht anders! Kann wohl ein Virgil,
Man weis, ich sage nicht zu viel,
Von großen Seelen nichts mehr sagen?

Ach Fürstinn! Ist mein Fehler groß,
Und wohl vieleicht nicht zu verzeihen;
So giebt sich hier die Schwäche bloß,
Ich werd ihn noch sehr oft erneuen.
Denn wird es Dir auch gleich nicht kund,
So wird doch der erfreute Mund
Mit Deinem Lobe stetig prangen.
Ach! schaue was mein Kiel gethan,
Nur mit den Gnadenblicken an,
Die auch wohl Deine Feind, erlangen.

Doch, was beklemmt den matten Kiel?
Man hört die deutschen Schwäne stimmen.
Die mit dem allerreinsten Spiel
Am Castalis im Zirkel schwimmen.
O Kaiserinn! Nun wird einmal
Dir sich die allerschönste Zahl
Der reinsten deutschen Dichter zeigen.
Sie werden mich an Wissenschaft,
An Reinigkeit, an Geist und Kraft,
Doch nicht an Ehrfurcht, übersteigen.