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Luise Adelgunde Victoria Gottsched

Der Frau
Luise Adelgunde Victoria
Gottschedinn, geb.Kulmus,
sämmtliche
Kleinere Gedichte,
nebst dem,
von vielen vornehmen Standespersonen,
Gönnern und Freunden beyderley
Geschlechtes,
Ihr gestifteten Ehrenmale,
und Ihrem Leben,

Leipzig,
bey Bernhard Christoph Breitkopfen u. Sohne.
1763.



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Leben
der weil. hochedelgebohrnen, nunmehr sel. Frau,
Luise Adelgunde Victoria Gottschedinn,
geb. Kulmus, aus Danzig.

Diese in ganz Deutschland, ja auch in be-
nachbarten Ländern, durch ihre Geschick-
lichkeit, und viele gelehrte und witzige
Schriften, bekanntte und berühmte
Frau, war 1713. den 11. Aprilzu Dan-
zig gebohren. Ihr sel. Vater war Herr Johann George
Kulmus, aus Breslau gebürtig, der Arzeneykunst Do-
ctor, Königl. Pohln. Leibarzt, und der kaiserl. Akad. der
Naturforscher Mitglied. Er hatte sich in seiner Jugend,
durch einen Tractat berühmt gemachet, der unter dem Titel:
Oneirologia, sive Tractatio Physiologico-Physico—
Theoretica de Somniis, & hinc dependente eorum
consideratione medica, nec non inde facta excur-
sione ad deliria &c.
zu Breslau bey Rohrlachen 1703.
ans Licht getreten; und ihm eine Art geistl. Verfolgung zu-

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gezogen hatte. Ihre sel. Frau Mutter hieß Katharina
Dorothea, und war eine gebohrne Schwenkinn: deren
Vater sich aus Augspurg nach Danzig begeben hatte, und
einen glücklichen Handel trieb; ihre Mutter aber aus der
dortigen Lauingerischen patricischen Familie war.

In der Schwangerschaft ihrer Frau Mutter, gaben es al-
le Merkmaale, daß ihre erste Frucht unfehlbar ein Sohn seyn
würde. Darauf wurden also auch die Anstalten mit dem Kind-
erzeuge gemachet. Zu großem Erstaunen aber, war das
neugebohrne Kind eine Tochter; und das Knabenkäpp-
chen konnte also bey der Taufe nicht gebrauchet werden.
Was für Häubchen aber in der Familie auch vorhanden seyn
mochten, die waren dem neugebohrnen Kinde durchaus zu
klein: und man sah sich genöthiget, demselben eine Art von
Binde um den Kopf zu winden, die einer türkischen nicht
unähnlich war. Alle Angehörige aber sagten: das Kind
hätte einen Poetenkasten mit auf die Welt gebracht: eine
Weissagung, die dereinst vollkommen eingetroffen.

Ihre Taufzeugen waren, Seine Hoch- und wohlge-
bohrne Excellenz, Herr Johann Victor, Baron von
Besenvol, Sr. Allerchristl. Majest. Marechal de Camp,
Hauptmann der Schweizer-Guarde, Ritter des heil. Lud-
wigsordens, und außerordentl. Gesandter an den König in
Schweden; Ihre Hochgräfl. Excellenz, die Frau Groß-
Kronmarschallinn von Pohlen, Frau Ludovica Bielinska,
geb. Mohrsteininn; und ihre Frau Großmutter, Frau
Adelgunda Schwenkinn: von welchen Pathen sie dann
ihre Taufnamen Luise, Adelgunde, Victoria erhalten hat.

Ihre Frau Mutter, als eine große Liebhaberinn der
schönen Wissenschaften, wandte schon in der ersten Ju-
gend, viel Fleiß auf diese ihre einzige Tochter; und brach-
te ihr sonderlich von Kindheit an, das Französische bey.

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Von ihrem Vätter, dem nachmaligen Prof. am Gymnasio,
D. Joh. Adam Kulmus, lernte sie schreiben, und die er-
sten Regeln der deutschen Prosodie. Von ihrem noch le-
benden Halbbruder erster Ehe aber, Hrn. Johann Ernst
Kulmus, dermaligen obersten Stadtphysicus zu Danzig,
begriff sie nachmals, gleichsam spielend, das Englische: so
wie selbiger es die Stunde zuvor, von dem berühmten
Hrn. Thomson zu Göttingen, welcher sich damals in Dan-
zig aufhielt, gelernet hatte.

Ihre besondere Fähigkeit des Gedächtnisses zeigte sich
schon in früher Jugend, bey der ersten Unterweisung im
Christenthume. Ihre Aeltern ließen sie nicht nur zu Hau-
se darinn unterrichten, sondern schickten sie auch, als ein
acht‐ bis zwölfjähriges Kind in die öffentlichen Katechisa-
tionen, welche von den Geistlichen der St. Johanniskirche,
des Sonntags vor dem Altare gehalten wurden. Hier
zeigte sie nicht nur allen Kindern ihres Geschlechtes, son-
dern auch allen Knaben der Johannisschule, ein besonderes
Beyspiel des Fleißes und der Hurtigkeit ihres Geistes.
Dieses währte etliche Jahre hindurch, zu großer Verwunde-
rung der Gemeine: bey welcher es eben nicht gewöhnlich war,
daß Kinder aus vornehmen Häusern sich öffentlich darstelle-
ten, und solche Proben ihrer guten Anführung ablegeten.

Ihr Herr Vater hatte auf hohen Schulen, in seiner
Jugend, die Laute gespielet; und ihre Frau Mutter nicht
nur das Clavier, sondern auch die Cyther geliebet. Da-
her war denn die Musik in dem Kulmischen Hause will-
kommen; und es wurden bisweilen von Liebhabern kleine
Concerte darinn gehalten: wobey der berühmte Secretär
Klein die Violine, und Herr D. Kade seine Laute zu spie-
len pflegten. Solche Aufmunterungen nun, warfen ihre
Funken in das an sich schon musikalische Naturell der jun-

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gen Victoria. Sie stahl sich oft weg, um auf einer Bo-
denkammer, auf der alten Laute ihres Vaters, so wenig
Seyten sie auch noch hatte, zu klimpern.

Auf dem Claviere zwar ward ihr ein ordentlicher Un-
terricht bewilliget: zur Laute aber, war damals kein Mei-
ster in Danzig vorhanden. Endlich fand sich einer, der
dieser begierigen Schülerinn wenigstens die Namen der
Seyten, die Noten und die Griffe zeigen, ihr aber selbst
nichts vorspielen konnte. Ein paar Monathe seines Un-
terrichts, sind alles das gewesen, was sie hierinn genossen;
außer daß sie obgedachten Hrn. D. Kaden bisweilen hö-
rete, und einige leichte Stücke von ihm zum abschreiben be-
kam. Gleichwohl ersetzte ihr Naturell alles übrige: so
daß sie nachmals hier in Leipzig, die schwersten weisischen
Stücke fertig, ja fast vom Blatte wegspielte; auch selbst die-
ses großen Meisters Beyfall erhielt, als er sie 1740 besuch-
te, und ihr theils vorspielte, theils sie spielen hörete.

Man übergeht hier die Anweisungen zu allen weibli-
chen Verrichtungen, daran es ihre Frau Mutter ihr nicht
fehlen ließ. Das Nähen von allen Arten gieng ihr glück-
lich von statten; das Klöppeln feiner Spitzen aber, wel-
ches damals noch gewöhnlich war, hätte sie fast um ihre
Augen gebracht. Ihr Vater ergrimmete also einmal, als
ein verständiger Arzeneygelehrter, über den gar zu verderb-
lichen Spitzenpult, und warf ihn im Eifer ins Feuer. Der-
gestalt rettete er die auf viele Monathe geschwächten Augen
seiner liebsten Tochter; die sie auch nachmals zu weit edlern
und nützlichern Beschäfftigungen angewandt hat. Ihre
Frau Mutter aber gab ihr, zum Zeitvertreibe, gemeiniglich
viele Seiten und Blätter aus französischen Büchern abzu-
schreiben. Dieses setzte sie nun, in der so schweren Recht-
schreibung dieser Sprache, so fest, daß sie nachmals, ohne

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einen fernern Unterricht eines Sprachmeisters genossen zu
haben, auch in langen Briefen sehr schwerlich einen Fehler
darinn begehen konnte: ob sie gleich dieselbe mehr aus dem
Reden und der Uebung, als nach Regeln gelernet hatte.
Da sie auch ihrer fast immer kränklichen Frau Mutter viel
französische Bücher vorlesen mußte: so hat sie sonderlich die
Schriften des St. Evremont, und des Kaisers Antonins
Betrachtungen über sich selbst, nach Daciers u. Hofmanns
Uebersetzung, imgl. den Telemach u. a. m. und in früher
Jugend zu lesen bekommen.

In ihrem 15ten und 16ten Jahre überließ ihre Frau
Mutter sie gleichsam ganz, ihren eigenen Neigungen, um
zu sehen, wohin ihr innerer Trieb sie lenken würde: nicht an-
ders, wie Sophroniskus vormals, auf des Orakels Aus-
spruch, den jungen Sokrates seinem innern Lehrmeister über-
lassen hatte. Allein diese Neigung der anwachsenden
Adelgunde fiel getheilt, auf Musik und Poesie, sodann
aber aufs Schreiben und Lesen guter Bücher. Ihr Cla-
vier und ihre Laute, dazu sie sich alle Noten selber schrieb,
besetzten ihr viele Stunden. Außerdem hatte sie Anwei-
sung zur Universalhistorie und Geographie; zur Poesie und
zur Perspectiv: davon sie Joh. Christ. Rembolds Perspe-
ctiv-Reißkunst
mit eigener Hand abgeschrieben, und mit
allen Rissen versehen hat. Sie schrieb ihrem Vätter ein
ganz lateinisches Collegium pathologicum ab, davon
sie doch nichts verstund; und übersetzte die Prinzessinn von
Cleve
ins Deutsche, die man noch in Händen hat: die sie
aber, als einen Roman, niemals hat herausgeben wollen.

Mit diesen Vorbereitungen versehen, lernte sie ihr
nachmaliger Freyer und Ehegatte, 1729 in Danzig kennen;
wohin er, aus Leipzig, um seine Aeltern noch einmal zu spre-
chen, gekommen war. Ihre Neigung zu den Wissenschaf-

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ten, und ihr feiner Witz, der schon verschiedene kleine Ge-
dichte hervorgebracht hatte; ihre Geschicklichkeit in der
Musik, und überdem, ihre angenehme Gestalt und artige
Sitten, bewogen denselben, sich bey ihren Aeltern den Brief-
wechsel mit Ihr auszubitten. Diesen erhielt er, und suchte sie
dadurch, mehr und mehr in dem Geschmacke an den Wissen-
schaften, und freyen Künsten zu befestigen: zu welchem Ende
er sie dann allmählich mit allerley deutschen und französischen
Büchern, die ihrer Fähigkeit gemäß waren, versorgete.

Um diese Zeit nun ließ diese junge Muse, ohne ihres
Freyers Wissen, auf die russische Kaiserinn, Anna Iva-
nowna, eine große Heldenode drucken: die zwar wirklich
nach Petersburg übersandt ward; aber aus Mangel guter
Vermittelungen, vieleicht niemals vor die Augen der Kai-
serinn gekommen: ob sie wohl sonst bey Kennern vielen
Beyfall gefunden. Ferner übersetzte sie der Frau von
Lambert Betrachtungen über das Frauenzimmer ins
Deutsche: ein kleines, aber sehr lehrreiches Werkchen, wel-
ches sehr geschickt war, eine junge und fähige Seele zu bil-
den; und bey ihr einen guten Saamen in den besten Acker
streuete. Dieses letztere ward durch die Veranstaltung
ihres Liebhabers und Correspondenten, hier in Leipzig 1734
gedruckt, und machte Deutschland zuerst eine Feder bekannt,
die ihm so viel nützliche und sinnreiche Werke liefern sollte.

Eben so hatte dieselbe der Frau von Gomez so beti-
telten Triomphe de l'Eloquence verdeutschet. Nach
dieser Erdichtung, sollte, auf das Testament Kallidors,
eines Bürgers zu Athen, unter vier Jünglingen, die sich den
schönen Wissenschaften gewidmet hatten, demjenigen jähr-
lich ein gewisser Preis ertheilet werden; der diejenige Kunst
oder Wissenschaft am besten loben würde, der er sich ins
besondere gewidmet hatte. Der Richter sollte Krito-

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laus seyn: und die Weltweisheit, die Geschichte, die
Dichtkunst und die Beredsamkeit, waren diejenigen
Theile der Gelehrsamkeit, die von ihren Liebhabern um die
Wette gepriesen wurden. Die letzte trug, nach dem Ur-
theile des Kritolaus, den Sieg davon: und darum hieß
dieß Werkchen, das eigentlich aus sechs kurzen Reden be-
steht, der Sieg der Beredsamkeit.

Als der Verlobte der Uebersetzerinn auch dieses in die
Hände bekam, stellete er es gleichfalls im Anfange des
1735sten Jahres in gr. Octav ans Licht; und fügte theils
die obige Ode auf die Kaiserinn Anna, theils noch sonst
ein paar Gedichte bey, davon er Abschriften bekommen
hatte. Das letzte war ein Sendschreiben an die damals
berühmt werdende Jungfer Zäunemanninn in Erfurt, das
sehr nützliche Lehren für dieselbe in sich hielt. Dieß Werk-
chen eignete die junge Verfasserinn als Braut, der Herzo-
ginn von Curland, Frau Johannen Magdalenen, gebohr-
nen Prinzessinn von Sachsen-Weißenfelß, zu, die sich da-
mals noch zu Danzig aufhielt; und ward von derselben
mit einem artigen Ringe beschenket.

Als nun der bisherige Correspondent und Freyer der
Wohlseligen 1734 das ordentliche Lehramt der Weltweis-
heit erhalten hatte, dachte er zwar, den schon längst gefaß-
ten Vorsatz eiligst auszuführen, und sich mit einer so ge-
schickten Person näher zu verbinden: deren Briefe ihm ih-
ren fähigen Geist mehr und mehr verrathen hatten. Er
hat selbige mit den seinigen noch alle in Händen, und diese
würden dereinst kein übles Muster von einem unschuldig
zärtlichen Briefwechsel abgeben. Allein Danzig stund
eben damals, wegen des Königs Stanislaus, eine harte
Belagerung und Bombardirung aus: wobey sie, mit ih-
rer Frau Mutter und Halbgeschwistern, in einer entlegenen

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Vorstadt an der Weichsel, eine Zuflucht und Sicherheit su-
chen mußte; indessen, daß ihre Behausung von ein paar
Bomben getroffen ward. Ihre Frau Mutter starb in
währender Belagerung: ihr Herr Vater aber war schon
zwey Jahre vorher gestorben. Nach erfolgtem Frieden
aber, 1735 den 19. April, ward die Vermählung zwischen
beyden in Danzig vollzogen; und den 14. May kamen sie
über Stargard, Berlin und Wittenberg glücklich in Leip-
zig an.

Endlich hatte sie schon dort, zur Uebung im Englischen,
Addisons Cato übersetzet; den sie aber in Leipzig noch-
mals übersah, und 1735 ans Licht stellete. Hieselbst fand
sie nun die beste Gelegenheit, sich in den schönen Wissen-
schaften noch fester zu setzen: da sie die Vorlesungen ihres
Gatten, sowohl über alle Theile der Weltweisheit, als über
die Redekunst und Dichtkunst; imgleichen alle Redner-
übungen seiner auserlesensten Zuhörer, und seine Beurthei-
lungen darüber, hören konnte. Da sie solches alles, an
der Thüre ihres Zimmers sitzend, welches an seinen Hör-
saal stieß, zuzuhören, und vielmals zu wiederholen pflag:
so war es ihr ein leichtes, in diesen Theilen der Gelehrsam-
keit einen guten Grund zu legen, und hernach durch eige-
nen Fleiß im Lesen, noch weiter zu gehen.

Indem sie nun dergestalt die philosophischen und schö-
nen Wissenschaften mehr und mehr liebgewann, und ihren
Umfang kennen lernte, nahm sie allmählich wahr: daß
man ohne einige Kenntniß der lateinischen Sprache, die
Kunstwörter derselben weder recht verstehen, noch brau-
chen könnte. Sie ward also begierig, einen Mangel zu
ersetzen, der ihr von Jugend auf noch anklebete, und des-
sen Uebelstand sie nun allererst recht einsah. Ihr Gatte
willigte gern darein, ihr einen ordentlichen Unterricht im

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Lateine geben zu lassen: und Hr. M. Schwabe, der sich
nachmals durch allerley gelehrte Schriften der Welt so rühm-
lich bekannt gemachet, ja bereits damals Rollins Art die
schönen Wissenschaften zu lehren und zu lernen, deutsch ge-
liefert hatte, übernahm diese Bemühung mit Vergnügen.
Seine geschickte Art, ihr die Sprachkunst beyzubringen,
und andere kleine Uebungen im Uebersetzen, brachten sie in
kurzem so weit, daß sie bald einen leichten Schriftsteller
verstehen, und sowohl im Reden als Schreiben mit den
vorkommenden lateinischen Wörtern so richtig zu verfahren
wußte, als ein Gelehrter; ja daß sie oft Fehler an diesen
bemerken konnte, die ihnen im Umgange aus Uebereilung
entfuhren. Diese Kenntniß gab ihr hernach keine geringe
Hülfe, als sie, bey der deutschen Ausgabe des baylischen
Wörterbuches, ihrem Gatten hülfliche Hand leistete; wie
bald gedacht werden soll.

Indessen machten ihr die beständigen Redeübungen,
die sie vor ihrer Stubenthiere, Mittwochs und Sonnabends
Jahr aus, Jahr ein hörete; und ihres Gatten ordentli-
che Vorlesungen über die Redekunst, die sie gleichfalls et-
lichemal durchgehöret hatte, allmählich eine Lust, selbst
dergleichen Ausarbeitungen zu versuchen. Da sie der Frau
von Gomez Sieg der Beredsamkeit übersetzet hatte, wie
bereits gedacht worden; und nun mit mehrerer Einsicht,
als damals, diese kleinen Reden durchlief: kamen ihr die-
selben sehr seicht vor; so daß sie nicht ohne Grund glaubte,
etwas stärkers und bessers machen zu können. Sie fand
auch, ihrem nunmehrigen Geschmacke nach, da sie mit den
philosophischen Wissenschaften genauer bekannt geworden
war: daß nicht die Beredsamkeit, sondern die Weltweis-
heit billig den Sieg davon tragen müßte. Dieses ihr
Vorhaben nun, mit einiger Veränderung auszuführen,

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gerieth sie auf einen der glücklichsten Einfälle von der
Welt.

Sie hatte schon in der ersten Jugend des Kaisers An-
tonins Betrachtungen über sich selbst, nach Joh. Adam
Hofmanns Verdeutschung, mit vieler Rührung gelesen.
Sie besann sich also auf den ersten Unterricht dieses Kaisers,
und auf die Lehrmeister, die er dabey in allen Wissenschaf-
ten gehabt hatte. Sie dichtete, daß sein Großvater Lu-
cius Verus, diesen jungen Prinzen, theils ihn auf die
Probe zu stellen, theils die Wahl seiner gelehrten Bemü-
hungen ihm selbst zu überlassen, einen Tag angesetzet, dar-
an die für ihn bestimmten Lehrer der Dichtkunst, Bered-
samkeit, Geschichte und Weltweisheit, ihm ihre Disci-
plinen anpreisen sollten. Der Prinz hätte sie alle gehöret,
und alsdann gewählet: und diese Wahl wäre, nach der
bekannten Neigung dieses Kaisers zur Philosophie, schon
in seiner Kindheit, für die Weltweisheit ausgefallen.

Indem sie also die Scene dieser Reden aus Athen nach
Rom versetzet, und einen so wichtigen Umstand, die Er-
ziehung eines so großen Kaisers, als Antonin gewesen, der
sich bey der ganzen Nachwelt, den Beynahmen des Philo-
sophen erworben, ins Spiel gemischet, und zum Behuf
ihres Wettstreites geschickt ergriffen hatte: so bemeisterte sie
sich auch aller dieser Vortheile auf eine so glückliche Art, daß
sie, anstatt einer schwachen Nachahmung der Frau Gomez,
wie es das Ansehen haben konnte, ein ungleich stärkeres
Original lieferte; jenes Vorbild aber sehr weit zurück ließ.
Es sind auch allerdings in allen vier Reden solche feurige
Züge eines rednerischen Geistes enthalten; und sonderlich ist
des Philosophen Schutzrede mit so überwiegenden und sie-
genden Gründen angefüllet, daß dieß Werkchen mit Recht
der Triumph der Weltweisheit heißen konnte. Unter

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diesem Namen erschien es 1738 und zwar in Gesellschaft
des gometzischen Sieges der Beredsamkeit; um jedem Leser
die Vergleichung beyder Werke völlig anheim zu stellen,
und möglichst zu erleichtern.

Diesen beyden Wettstreiten fügte sie noch ein Paar an-
dere Reden bey, die sie gleichfalls beyläufig ausgearbeitet
hatte. Mit der ersten hatte sie ihrem Freunde und Gat-
ten ein Angebinde an seinem Jahrstage gemachet; den
sie insgemein mit einer neuen Ausarbeitung zu beehren pflag.
Sie bewies darinnen: daß ein rechtschaffener Freund
ein Philosoph seyn müsse; und bestätigte solches aus eige-
ner Erfahrung, mit seinem Beyspiele. Gleichwohl wurden
im Drucke viele von den besondern Lobsprüchen desselben
weggelassen: weil die Welt insgemein solche Erklärungen
nicht vertragen kann. Genug, daß ihre vorzügliche Nei-
gung gegen die Lehren der Weltweisheit, sich hier auf eine
neue Art erwiesen hatte. Die zweyte Rede aber war von
einem ganz besondern Geschmacke, und zeigte ihre Einsicht
in die wahre Beredsamkeit, sonderlich was die ihr anstän-
dige Schreibart betrifft, durch einen neuen und zu der Zeit
noch unversuchten Kunstgriff.

Es lebte damals, unter den hiesigen witzigen Köpfen
und Dichtern, auch der so berufene Amaranthes, oder Gott-
lieb Siegmund Corvinus noch, der vor kurzem einen
Band deutscher Reden ans Licht gestellet hatte. Derselbe
war nun noch größtentheils in dem alten lohensteinischen
und weidlingischen Geschmacke; und hatte also seine Reden,
theils in einer sehr schwülstigen Schreibart abgefasset, theils
eine Menge falsches Witzes darinne ausgekramet. Dieser
Ausdruck nun konnte dem richtig denkenden Geiste der Wohl-
sel. unmöglich gefallen: aber nur Sie war im Stande das Un-

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gereimte desselben, auf eine dem Verfasser selbst erträgliche
Art, begreiflich zu machen.

Eine Gesellschaft witziger Freunde und Freundinnen
belustigte sich damals dadurch, daß sie einander an ihren
gegenseitigen Geburtstagen, allerhand spaßhafte Glückwün-
sche macheten: wodurch die Zeit eines Nachmittags, oder
Abendes viel angenehmer vertrieben ward, als mit dem ge-
wöhnlichen Kartenspiele. Corvinus, der als ein witziger
Kopf nach der alten Mode, mit seinen wunderlichen Ein-
fällen, die von ihm den Namen der Corvinereyen führ-
ten, zur Lust der Gesellschaft dienete, ward insgemein,
ohne seine Unkosten, mit zur Versammlung gerufen: und
brachte fleißig die Früchte seines Witzes mit, um die Ge-
sellschaft zu vergnügen. Was war nun billiger, als daß
man auch seinen Jahrstag, mit Ablesung von allerley
Spielwerken und altfränkischen Gedichten feyerte? Die
Wohlsel. aber nahm sich etwas größers vor. Sie samm-
lete aus seinen eigenen Reden die seltsamsten Einfälle, Aus-
drücke und Redensarten, und machte gleichsam einen ora-
torischen Cento daraus, der aus allerley zusammen geflick-
ten Brocken bestund; und bey dem allen, ihm zum Lobe ge-
reichete. Dieses Stück las Sie in der Versammlung mit
dem sehr ernsthaftem und erhabenem Tone einer Lobrednerinn
vor; so daß die ganze Gesellschaft, wegen der schwülstigen
Ausdrücke, anfänglich in ein Erstaunen, endlich aber in
ein lautes Gelächter ausbrach; indem viele darunter die
corvinische Schreibart nur gar zu deutlich erkannten. Er
selbst ward es bald gewahr, daß seine Reden dabey gebrau-
chet worden; wußte aber kaum zu unterscheiden, ob er es
als eine Ehre, oder als eine Beschimpfung ansehen sollte:
zumal da man ihn versicherte: es sey eine gar zu starke
Nachahmung seiner Schreibart zu nennen. Dabey blieb

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es auch; allein diese Rede ward hier mit beygedrucket, und
hat sonder Zweifel vielen Anfängern in der Redekunst zur
Warnung gedienet. Nachmals aber hat der sel. Mag.
Schulz, in seinen Mustern und Beyspielen aus den Schrif-
ten der besten Redner, aus dieser Sammlung der Wohl-
seligen, sehr viele der schönsten Stellen an gehörigen Or-
ten eingeschaltet, und angehenden Rednern zur Nachfolge angepriesen.

Um diese Zeit war in Frankreich oder Holland, die so
betitelte Femme Docteur, ou la Theologie Janseni-
ste tombée en Quenouille
herausgekommen; ein leicht-
fertiges Schauspiel, womit die Jesuiten die Jansenisten zu
Paris eingetrieben hatten. Die Wohlsel. hatte in ihrer
Jugend eine Brut von solchen Frömmlingen gekannt, die
sich auch in die Häuser klugseynwollendes Frauenzimmers
eingeschlichen, um sie unter dem Scheine der Andacht zu
gewinnen, und zum Behufe ihrer Herrschsucht, zu mis-
brauchen. Bey Durchlesung dieser Komödie glaubte sie,
sehr viel Aehnlichkeit zwischen diesen häuchlerischen Seelen-
brüdern, und den französischen Jansenisten zu bermerken:
und da sie die Künste und Lebensart von jenen noch in fri-
schem Andenken hatte, meynte sie vielen einen heilsamen
Dienst zu thun, wenn sie die Abscheulichkeit boshafter Ab-
sichten und Verführungen, auch in unsrer Muttersprache
bekannt machen möchte. Sie begnügte sich aber nicht mit
einer bloßen Uebersetzung, wie es Terenz mit Menanders
Stücken gemachet hatte; sondern änderte Namen und Um-
stande dergestalt, daß diese ihre Nachahmung ein auf deut-
schem Boden gewachsenes Original zu seyn schien. Sie be-
titelte es: Die Pietisterey im Fischbeinrocke, und es
gelung ihr damit so gut; daß eine Menge von Lesern, die
es in Hamburg gedruckt erblickten, es keinem unberühmtern

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Schriftsteller, als dem berühmten Pastor Neumeister, zu-
eignete; dessen Eifer wider die Pietisten, sich sonst schon
auf mehr als eine Art beißend genug erwiesen hatte. De-
sto mehr Aufsehen machte nun dieß Stück in ganz Deutsch-
land. An etlichen Orten, wo Leute von dieser Art, die
Hand mit am Ruder hatten, ward es weggenommen, ver-
bothen, und fast für unehrlich erkläret: dahingegen un-
zähliche einsehende und wohlgesinnte Theologen es für sehr
nützlich und geschickt hielten, die schleichende Muckerey der
Kopfhänger, und die quäkerische Dummheit vieler Phan-
tasten auszurotten. Es ist auch kein Zweifel, daß dieß
Schauspiel, der damals sehr mächtigen Pietisterey, einen em-
pfindlichen Stoß gegeben; und sie durch die Waffen des
Auslachenswürdigen so kräftig bestritten: als Cervantes,
durch seinen Don Quixote, die Ritterbücher in Spanien,
und Corneille, durch seinen Berger extravagant, die
Schäferromane in Frankreich niedergeschlagen hatte.

Da die Wohlselige noch immer die Musik zur Ab-
wechselung ihrer Nebenstunden zu brauchen pflegte: so be-
mühte sie sich auch darinnen die gemeine Bahn des Frauen-
zimmers in etwas zu überschreiten. Den Generalbaß hat-
te sie auf dem Claviere schon in Danzig gelernet: allein die
musikalische Setzkunst, oder das Componiren, hatte sie noch
nicht begriffen. Bey ihrer großen Fähigkeit und Neigung
zu dieser Kunst, hatte sie also nur noch einen Schritt zu
thun: und hier wählte ihr Gatte, von denen damals hier
befindlichen Musikverständigen, einen der geschicktesten Lehr-
linge des Capellmeisters Bach, Herrn Krebsen: der
nachmals sehr berühmt geworden. In kurzem begriff sie
so viel davon, als zu Stillung ihrer Begierde nöthig schien.
Sie setzte nicht nur eine sogenannte ganze Suite, womit
sie zur Erkenntlichkeit, ihren Gatten einmal an seinem

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Jahrstage anband; sondern brachte auch eine Cantate von
seiner Arbeit in Noten, die auf ihrer beyder glückliche Ver-
bindung verfertiget war. Vieleicht wären beyde Stücke
nicht unwerth bekannt zu werden, um der Welt ihren glück-
lichen Geist auch in dieser freyen Kunst vor Augen zu legen.
Folgende Sammlung liefert indessen bloß diese letzte a. d.
178 u. f. S. Ohne Zweifel hat auch der Ruf davon damals
gemachet, daß der jetzige Kammersecretär zu Braunschweig,
Herr Joh. Fr. Gräf, 1739. die zweyte von seinen artigen
Liedersammlungen ihrem Namen zueignete; ja daß selbst
Herr Hofrath von Mißler, in Warschau, der damals noch
hier lebte, ihr vor einer seiner musikalischen Schriften glei-
che Ehre erwies.

Man glaube indessen nicht, daß ihr Flügel und ihre
Laute sie ganz von den ernsthaftern Musen abzuziehen ver-
mocht. Nein, neben der lustigen Thalia, war sie auch
eine Freundinn der strengern Melpomene geworden. Erstlich
hatte sie schon in Danzig einen Aufzug aus der voltairischen
Zaire, in reimlosen Versen versuchet; der auch dem Sie-
ge der Beredsamkeit
beygedrucket worden; und wie oben
gedacht worden, Addisons Cato aus dem Englischen
verdeutschet. Nunmehr übersetzte sie in diesen Jahren die
Cornelia, ein Trauerspiel aus der Madem. Barbier.
Zweyerley hatte sie gereizet, dieß Stück vor andern zu ei-
nem tragischen Versuche zu wählen. Das erste war, daß
die Verfasserinn desselben ein Frauenzimmer war, mit dem
sie sich, so zu reden, am liebsten in einen Wettstreit einlas-
sen wollte: welche von ihnen, die großmüthigen und edeln
Gesinnungen einer Römerinn, am stärksten und feurigsten
ausdrücken könnte? Das zweyte war, die Heldinn des
Stückes selbst, die große Tochter Scipions des Africaners;
die berühmte Mutter der Gracchen; die Ehre ihres Ge-

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schlechtes: deren erhabenes Beyspiel und tugendhaftes We-
sen ihr vor andern werth schien, erneuert, und auch in
Deutschland bekannter zu werden. Es gelung ihr auch
die Verdeutschung desselben dergestalt, daß die damalige
neuberische Bühne dasselbe mit dem größten Beyfalle auf-
führete; und ihr Gatte kein Bedenken tragen dorfte, den
II. Band seiner deutschen Schaubühne damit zu zieren.
Man lese nur selbst die heftigen Auftritte dieser republica-
nischen Römerinn, mit dem Consul Licinius: so wird
man erstaunen, mit was für einer Ungezwungenheit und
Stärke im Deutschen, die Ubersetzerinn alles ausgedrücket.
Viele Kenner, die selbige mit dem Originale verglichen,
haben wohl gar den Ausspruch gethan: daß die Dollmet-
schung an vielen Stellen demselben an Geist und Feuer
weit überlegen sey.

Das zweyte tragische Stück, daran sie sich wagete,
war des Hrn. von Voltaire, Alzire, die Americanerinn.
Es hatte sich noch niemand an die Uebersetzung dieses Stü-
ckes gemachet, als sie selbige unternahm; und glücklich da-
mit zu Stande kam. Kaum aber war sie damit fertig ge-
worden, als Herr Secretär Kopp in Dresden, mit seiner in
langen achtfüßigen Iamben abgefaßten Verdeutschung ans
Licht trat, und Herr Licenciat Stüven in Hamburg, ein
sehr glücklicher Dichter, der itzo in wichtigen Bedienungen
zu Braunschweig steht, eben dergleichen in ordentlichen
sechsfüßigen Versen lieferte. Beyde verdienten ihr Lob, wel-
ches ihnen auch die Wohlsel. gern gönnte. Doch, da gleich-
wohl ihre Uebersetzung der Zeit nach, die erste gewesen, und
jenen gar wohl an die Seite gesetzet zu werden verdienete:
so trug man nachmals kein Bedenken, dieselbe in dem
III. Bande der deutschen Schaubühne, auch ans Licht zu
stellen. Kenner und Kunstrichter mögen urtheilen, welche

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darunter den Vorzug verdienet. Wenigstens ist der Wohl-
sel. ihre, oft mit dem größten Beyfalle aufgeführet worden.

So wenig die Wohlselige ihre Feder zu allerhand Ge-
legenheitsgedichten in beständiger Bewegung erhielt; und so
sehr sie von einer solchen Verschwendung ihrer Zeit und Ein-
fälle eine Feindinn war: so wenig konnte sie sich doch zu-
weilen ihrer Neigung entziehen, bey gewissen Veranlassun-
gen ihre Gesinnungen poetisch zu entdecken. Eine solche
war für sie, die um diese Zeit von dem Reichsgrafen, und
königl. pohln. Cabinetsminister von Manteufel, gestiftete
alethophilische Gesellschaft zu Berlin. Die Aufnahme der
Wahrheit nämlich, die damals von dem berühmten Prob-
ste Reinbeck, und etlichen andern vornehmen Theologen,
zum Besten des Kanzlers und Freyherrn Wolf, mu-
thig vertreten ward, bewog sie, im Namen dieser allegori-
schen Göttinn, ein poetisches Schreiben an jenen großen
Beschirmer derselben abzulassen. Dieß war mit den edel-
sten Gedanken, und kräftigsten Ausdrücken, in einer star-
ken und reinen Dichtkunst abgefasset: und ward nicht nur
einzeln, sondern auch in dem I. Stücke der Belustigungen
des Verstandes und Witzes
wieder abgedrucket: so wie es
in den gesammleten Gedichten der Sel. a. d. 99sten S. aber-
mal erscheinen wird.

Auf einer erblaßten Freundinn, der sel. Frau Prof.
Richterinn, einer geb. Börnerinn, frühen Tod, verfertigte
sie eine sehr bewegliche Elegie: eine Art von Gedichten,
darinn sich sehr wenige deutsche Dichter stark gewiesen, und
noch keiner sie übertroffen hat.

An ihren Gatten, der 1739. sein erstes Rectorat all-
hier ablegte, richtete sie im Namen des ersten Rectors
der Leipziger hohen Schule, Johanns von Münsterberg,
ein sehr nachdrückliches Glückwünschungsschreiben; und auf

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das 1740 allhier gefeyerte Jubelfest der Buchdruckerkunst,
lieferte sie, auf inständiges Bitten der ansehnlichsten Kunst-
verwandten, eine Ode, die gewiß eine Flemmingische Stär-
ke wieß.

Dieses mag von ihren kleinen Gedichten genug seyn:
wiewohl sie deren, auf ihren Gatten noch verschiedene auf-
gesetzet hat. Sie folgen in der Sammlung derselben, nach
der Zeitordnung: und hiedurch ist die Sel. jener tugend-
haften Römerinn ähnlich geworden, die auch ihren Gemahl
mit Gedichten zu beehren pflegte. Außerdem hätte sie
auch einer keuschen Sulpitia verglichen werden können, die
in Rom, bey gänzlicher Verderbung weiblicher Sitten,
von der ganzen Stadt einhällig erwählet wurde, den vom
Rathe neugestifteten Tempel und Dienst der herzenlenken-
den Venus, (Veneris verticordiae,) im Namen alles
Frauenzimmers einzuweihen.

Um eben diese Zeit veranlassete die Bekanntschaft ihres
Gatten mit des Reichsgrafen von Manteufel Excellenz,
welcher damals seinen Aufenthalt von Berlin nach Leipzig
verlegte, und deswegen etlichemal ab‐ und zu reisete: daß
dieselbe diesen großen Gönner und Kenner der Wissenschaf-
ten zu vergnügen, ein paar kleine Schriften verfertigte, die
man ihr noch nicht überlaut beygeleget hat. Sie schlugen
beyde ins theologische Fach, und sind mit verschiedenen Be-
wegungen der Gemüther aufgenommen worden; nachdem
ihre Leser gesinnet waren. Bey den erbaulichen und unge-
zwungen gründlichen Predigten, die der Herr Reichsgraf
in Berlin vom Probste Reinbeck hörete, und uns beständig
anpries, ja gar ins Französische übersetzte, entfuhr der Se-
ligen einmal der Spaß: daß sie sich auch wohl getrauete,
eine Predigt zu machen, die den Hrn. Grafen vergnügen
sollte. Einem Herrn von seiner Art, dorfte man einen sol-

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chen Scherz nicht zweymal sagen, ohne aufs begierigste zu
dessen Vollziehung aufgefodert zu werden: und die Selige
hatte zuviel Ehrliebe, als daß sie ein gegebenes Wort nicht
hätte erfüllen sollen. Hier aber that sie es desto lieber, je ge-
wisser sie wußte; daß sie es auf eine sehr unerwartete Art
vollführen würde.

Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, eine ernst-
hafte Predigt zu machen: vielmehr wollte sie dem vernünf-
tigen Geschmacke des Hrn. Probsts und Consistorialraths
Reinbeck im Predigen, einen sehr altväterischen, und
schon mehrentheils aus der Mode gekommenen homiletischen
Schlendrian entgegensetzen; der zu schlechtem Vortheile der
Religion, unter gewissen Kirchendienern nur gar zu lange, ge-
herrschet hatte. Kurz, sie wollte in der geistlichen Bered-
samkeit eben das leisten, was sie schon in ihrem Siege der
Weltweisheit
, in der weltlichen, auf eine ironische Art ge-
leistet hatte. War dort der übertriebene Schwulst im
Ausdrucke, der Gegenstand ihres Spottes gewesen: so soll-
te hier der einfältige Witz, in allegorischer Verdrehung und
Zerstümmelung eines Spruches, und eine abgeschmackt an-
gebrachte Belesenheit, den Stoff des Lächerlichen herge-
ben: dergleichen die Selige entweder vormals auf Kanzeln
gehöret, oder in schlechten Postillen gelesen haben mochte.

Weit gefehlet aber, daß sie diese ihre Ausarbeitung
auf einen biblischen Spruch hätte richten sollen: so suchte
sie dergleichen heiligen Misbrauch, mit Bedachte an einer
Stelle eines weltlichen Poeten sichtbar zu machen. Sie
wählte einen Ausruf des Horaz: " Quo? quo, scelesti, rui-
tis?" aus der 14. Ode des I. Buches, zum Texte ihrer Pre-
digt; weil damals in einer gewissen theologischen Monath-
schrift, den neuern Weltweisen damaliger Zeiten, sehr oft
ein bewegliches "">Quo ruitis?" war zugerufen worden. In

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diesem Spruche fand sie nun, als eine allegorische Homi-
letinn, folgendes schematische Thema: “Horatii, als ei-
“nes wohlerfahrnen Schiffers, beweglicher Zuruf, an alle
“auf dem Meere der gesunden Vernunft schwimmende
“Wolfianer:”
und handelte dabey ab: 1) Das schön be-
mahlte Boot, 2) den Schiffer der ihm droht, und
3) die zu besorgende Noth.

Man kann leicht denken, daß die Ausarbeitung, dieser
einfältigen Erfindung gemäß, ziemlich abgeschmackt und
lächerlich herausgekommen seyn wird. Alle läppische Kün-
ste schlechter Homileten waren hier angebracht: und ich darf
wohl nicht sagen, wie sehr dieser Spaß den erlauchten
Mäcenas vergnüget haben wird; als er denselben nach
Berlin bekam, und in der alethophilischen Versammlung
dem Hrn. Consistorialrathe Reinbeck vorlesen ließ. Eine
Probe dieses Beyfalls aber war es, daß dasjenige, was
die Verfasserinn nur diesem großen Minister zum Vergnü-
gen aufgesetzet, und niemals dem öffentlichen Drucke be-
stimmet hatte, auf Veranstaltung desselben, man weis
nicht recht, wo? gedrucket, mehr als einmal nachgedrucket,
und mit andern Zusätzen einiger Schreiben, die sie gleichfalls
entworfen hatte, vermehret ward. Das Gerücht war auch
so verschwiegen nicht, als es billig hätte seyn sollen: und
die gelehrten Schriften zweener Theologen, in Rostock
⋆) mn1

⋆ )Hr. D.und Prof.Engelke, als Rect. Magnificus u. Dechant.


und Wittenberg
⋆⋆) mn2

⋆ ⋆ ) Herr D. Kluge, als Archidiaconus daselbst.

, konnten ihren Eifer nicht so gar mäßi-
gen, daß sie die Selige nicht öffentlich, wiewohl noch oh-
ne Meldung des Namens, gerüget; ja ihr wohl gar, auf
eine ziemlich untheologische Art, gefluchet haben sollten.
Genug davon.



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So spaßhaft dieß kleine Stück gerathen war, so ernst-
haft war eine Uebersetzung aus dem Englischen eines ehema-
ligen Vicekanzlers der Universität zu Oxfort, D. Eachards.
Dieser hatte, als ein ansehnlicher Prälat der englischen Kir-
che, sich um das Verderben der dasigen Geistlichkeit beküm-
mert, und dasselbe, so viel an ihm war, durch einen klei-
nen Tractat: von den Ursachen der Verachtung der Reli-
gion und Geistlichkeit
zu hemmen gesuchet. In einer
Sammlung eachardischer kleiner Schriften, so die Selige
aus der Bibliothek des sel. geheimen Kriegsraths von Dies-
kau, mitgetheilt bekommen, hatte sie dieß kleine Stück an-
getroffen. Als nun der Herr Probst Reinbeck, über die
königl. preußische Verordnung, von besserer Einrichtung
der Predigten, eine so betitelte Lehrart erbaulich zu predi-
gen, ans Licht stellete; übersetzte die Selige, das gedachte
kleine Werkchen, und schickte es, durch Einschluß des Hrn.
Grafen von Manteufel, an denselben, als einen Beytrag
zu seinem neuen Buche. So satirisch und spaßhaft nun
auch der Inhalt desselben war: so viel Beyfall fand selbiger
bey diesem vernünftigen Geistlichen. Er sah nämlich bald
ein, daß unzähliche Fehler der Engländer auch unter uns
im Schwange giengen; und daß also dieß Werkchen der
Kirche zu vielem Nutzen gereichen könnte, im Falle es be-
kannt würde. Er trug also kein Bedenken, selbiges, mit
seiner eigenen Vorrede versehen, unter seinem Namen ans
Licht zu stellen. Dieß geschah erst einzeln, weil die Lehr-
art erbaulich zu predigen schon fertig war: als aber diese
zum zweytenmale gedruckt werden mußte, ward es dersel-
ben unzertrennlich beygedruckt; und hat sonder Zweifel der
evangelischen Kirche sehr viel gute Dienste gethan, indem
es unzähliche Thorheiten von der Kanzel geschaffet.



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Kaum war der Herr Cabinetsminister, Graf von
Manteufel hier in Leipzig angekommen, um den beständi-
gen Aufenthalt seiner noch übrigen Jahre allhier zu neh-
men: so bemühte sich die Wohlselige, demselben eine neue
Probe ihrer alethophilischen Gesinnungen abzulegen. Die
Frau Marqisinn von Chatelet, hatte mit dem Hrn.
von Mairan, beständigem Secretär der parisischen Aka-
demie der Wissenschaften, einen gelehrten Briefwechsel,
über das Maaß der lebendigen Kräfte in den Kör-
pern, geführet; und darinn die leibnitzische Lehre davon
vertheidiget. Bey ihrer Einleitung zur Naturkunde hatte
sie ein ganzes Capitel angehenket, welches wider eine Ab-
handlung des Hrn. von Mairan gerichtet war, die 1728 in
den Memoires der Akademie gestanden hatte. Hr.von
Mairan vertheidigte sich gegen sie, in einem gedruckten
Schreiben: und dieses beantwortete sie gleichfalls, in einer
zu Brüssel 1741 gedruckten Schrift, auf das siegreichste.
Einer gelehrten Französinn und Philosophinn Schrift zu
verdeutschen, die zumal dem größten deutschen Philosophen
das Wort redete, das gab eine so starke Versuchung für
die Wohlselige ab, daß sie derselben nicht widerstehen konn-
te: zumal, da sie auch einem großen Freunde von Leibni-
tzen dadurch ein Vergnügen machen konnte. Kurz, sie
übersetzte sie, und ward von demselben für diese Bemühung,
mit einer goldenen altethophilischen Schaumünze beschenket;
die andern Mitgliedern nur in silbernen Abdrücken zu Theile
geworden.
⋆) mn3

⋆ ) Man findet ihren Abdruck über diesem Leben.

Sie hatte aber dem Werkchen eine poetische
Zuschrift an die Frau Marquisinn von Chatelet vorgesetzet;
die gewiß viel Eindruck bey ihr gemachet haben würde,
wenn sie so viel deutsch verstanden hätte, als die Verfasse-

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rinn französisch verstund. Sie ist in der Sammlung ih-
rer Gedichte a. d. 120. S. nach der Länge zu lesen.

Nach diesem allen wird man sich nicht wundern, daß
die Wohlselige auch ihrem Gatten, bey der Ausgabe des
verdeutschten baylischen Wörterbuches, die wichtigsten
Dienste leisten konnen. Denn außerdem, daß sie im
IV. Bande desselben, im Art. Rorarius, die Leibnitzische
Antwort auf Baylens Einwürfe, und am Ende in den
neuen Zusätzen, noch eine andre Antwort dieses großen Ge-
lehrten, auf die fernern Einwendungen Hrn. Baylens
verdeutschet hat: so hat sie auch durchgehends die deutsche
Schreibart des damaligen Uebersetzers, Hrn. Königslöwens,
verbessert. Sie las dieselbe nämlich allemal vorher durch,
und brachte seine mehrentheils sehr weitschweifigen und un-
richtigen Ausdrücke in ein besseres Geschick; ehe sie mir die-
selben laut vorlas, indem ich den Grundtext vor Augen hat-
te, um von der Richtigkeit der Dollmetschung urtheilen zu
können; und ergänzte eigenhändig alles, was etwa verse-
hen oder ausgelassen war. Wenn ich hingegen den zwey-
ten Probebogen im Drucke selbst durchgieng, und laut her-
las, sah sie auch den französischen Text, sonderlich alle la-
teinische und griechische Stellen, Namen und Jahrzahlen
allemal sorgfältig nach, um mir die vorgegangenen Druck-
fehler aufs schärfste anzuzeigen. Und dergestalt ists gesche-
hen, daß sie in den Jahren 1741. 42. 43. und 44. das bay-
lische Wörterbuch
von Anfang bis zum Ende dreymal
durchgelesen: gewiß eine Arbeit, der sich wohl kein Frau-
enzimmer in der Welt wird rühmen können.

Im 1740sten Jahre faßte man hier den Entschluß, den
engländischen Spectator auf eine richtigere und vollständi-
gere Art ins Deutsche zu bringen, als er im Französischen
erschienen, oder auch vormals deutsch ans Licht zu treten

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angefangen hatte. Hauptsächlich machte ich dabey auf
meine fleißige und arbeitsame Gattinn Rechnung, die theils
zu dieser Arbeit alle Lust und Fähigkeit hatte, theils ihre
Nebenstunden nicht besser anwenden konnte, als mit der
Uebersetzung eines so angenehmen und erbaulichen Werkes.
Sie übernahm das ihr zugetheilte erste Stück, oder Blatt
desselben mit Vergnügen, da ich das zweyte, und ein drit-
ter guter Freund, allemal wöchentlich das dritte übersetzen
sollte. Denn da wöchentlich ein ganzer Bogen ausgege-
ben werden sollte, darauf ungefähr drey Blätter des Eng-
lischen Platz hatten: so glaubten wir der Arbeit desto besser
gewachsen zu seyn, wenn jeder von uns nur ein einziges zu
übersetzen hätte. Allein die beschäfftigte Lebensart, darinn
ich dazumal stund: da außer meinen häufigen Vorlesungen
auch öftere Rectorate und Decanate; imgleichen die Aus-
gabe des baylischen Wörterbuches mir sehr viel Zeit weg-
nahmen: machete, daß die Wohlsel. noch vielmehr dabey zu
thun bekam, als sie anfangs versprochen hatte. Denn so
oft es mir an Muße fehlte, mein Stück zu liefern, über-
nahm sie dasselbe an meiner Stelle. Man wird dieses
gleich im Anfange des I. Bandes, und sonst sehr häufig in
allen Bänden wahrnehmen, wenn man am Ende der Stücke
auf die Sternchen acht geben will, womit sie es gut befand,
ihre Arbeiten von den andern zu unterscheiden: da die Mei-
nigen ein + bemerkete, unsers dritten Mannes seine aber ganz
ohne Zeichnung geblieben sind. So hat ihr denn wirklich
unser Vaterland den größten Theil des verdeutschten Zu-
schauers
zu danken: und ein jeder, der ihre Stücke mit dem
Originale gegen einander hält, wird sehen, wie glücklich,
treulich und ungezwungen solches von ihr geschehen ist.

Da um eben diese Zeit, ja vorher schon, auch die
Beyträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache, Poesie

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und Beredsamkeit
unter meiner Veranstaltung, fleißiger als
vorhin ans Licht traten, geschah es, daß ich allmählich
auch meine wohlsel. Freundinn zu dieser Arbeit anführete,
und mir also eine Gehülfinn aus ihr bereitete. Ich gab
ihr anfänglich kleine Nachrichten und Auszüge aus lustigen
und so zu reden, spaßhaften Sachen abzufassen: derglei-
chen Joh. Maria Maxens Vorschläge zur Verbesserung
des Schulwesens
, und der Sammler (im XVten Stücke
oder IV. Bande, a. d. 3. u. f. S.) Stoppens und Hage-
dorns Fabeln, la Mottens von Glaseyen verdeutschte
Fabeln, Neukirchs Telemach (im V. Bande) u. dergl.
mehr waren. In den folgenden Bänden hat sie mir auch
zuweilen etwas geliefert, das ich ihr zum Ruhme nicht ver-
schweigen kann. Z. E. im VIII. Bande der Beyträge ist
auf der 233sten u. f. S. des Bruchsalischen P. Försters
Loberede auf den Tod Kaiser Karls des VI. von ihr auf eine
sehr spaßhafte Art recensiret. Auf der 420sten u. f. S.
hat sie des berühmten P. Buffiers Abhandlung: daß alle
Sprachen und Mundarten in der Welt, eine gleiche Schön-
heit haben, verdeutschet. Auf der 535 u. f. S. hat sie
aus Hrn. Hofrath Trillers Prinzenraube den Auszug ge-
machet: u. auf der 671 u. f. S. hat sie eine krittische Unter-
suchung der bodmerischen Uebersetzung eines Stückes aus
dem Telemach, in dem Charakter der deutschen Gedichte, ab-
gefasset. Und auf eben den Schlag hat sie auch nachmals,
in dem neuen Büchersaale der schönen Wissenschaften und
freyen Künste
, imgleichen in dem Neuesten aus der an-
muthigen Gelehrsamkeit
, mit einer schon geübtern Feder viele
wichtigere Werke, auf eine so gründliche als angenehme
Art beurtheilet und bekannt gemachet, daß die Leser alle-
mal höchst vergnügt damit gewesen. Vieleicht kann ich
dereinst alle diese Artikel in einer Sammlung liefern; da

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dann sonderlich die Auszüge aus einer guten Anzahl katholi-
scher Lobreden, oder Leichenpredigten auf hohe Häupter und
neue Heilige die von ihrer Feder sind, wegen ihres satiri-
schen Salzes vor andern hervor leuchten werden.

Nun komme ich auf den großen Antheil, den die
Wohlselige an der Verbesserung und dem Flore der gerei-
nigten deutschen Schaubühne genommen, ein Verdienst,
welches sie bey der Nachwelt schon allein unsterblich machen
könnte, wenn sie gleich sonst weiter nichts geleistet hatte.
Daß sie durch den engl. Cato, und die Pietisterey im Fisch-
beinrocke
bereits glückliche Versuche in der tragischen und
komischen Schreibart gewaget hatte, habe ich bereits oben
beygebracht; auch zweyer von ihr übersetzten Trauerspiele
schon beyläufig erwähnet. Auf diese ihre, noch im verborge-
nen ruhende Geschicklichkeit aber, die mir nur noch allein
bekannt war, rechnete ich hauptsächlich, als ich 1740 den
Vorsatz faßte, meine deutsche Schaubühne ans Licht zu
stellen: weil ich mir gewiß eine starke Beyhülfe in
beyderley Schreibart von ihr versprechen konnte. Ich ir-
rete mich auch keinesweges: denn ich habe nachmals keinen
einzigen Band davon ans Licht gestellet, den sie nicht zum
wenigsten mit zweyen Stücken bereichert und gezieret hätte.

Ich will dieselben nach der Reihe namhaft machen,
und ihrem Geiste und Fleiße dadurch Gerechtigkeit wieder-
fahren lassen.

Bekanntermaßen fieng ich mit dem II. Bande an, die-
se Sammlung ans Licht zu stellen: weil ich zu dem ersten
Aristotels Dichtkunst bestimmet hatte. Allein ich will hier
in der Ordnung der Bände bleiben, und ihre Arbeiten
ohne Absicht auf die Zeitordnung melden, darinn sie aus-
gearbeitet worden. Es enthält also der erste Band von
ihrer Arbeit



----------[printed page number = "***3r"]----------

II.
Der II. Band.
III.
IV.
Der III. Band.
V.
VI.
----------[single sheet - no signature]----------
Der VI. Band.
XI.
XII.

Da haben wir nun ein ganzes Dutzend theatralische
Stücke, womit sich die Wohlsel. um die deutsche Schau-
bühne verdient gemachet, und mit allen Ehre eingeleget hat.
Die meisten davon sind an vornehmen Höfen mit Vergnü-
gen gesehen worden: und ich kann als eine besondre Bege-
benheit anführen, was im 1755sten Jahre, selbst in Dres-
den damit vorgefallen. Se. Königl. Hoheit, der Königl.
Churprinz, und der Durchl. Churprinzeßinn Königl. Ho-
heit ließen sich, in Abwesenheit Sr. Königl. Majestät in
Warschau, auf dem kleinen brühlischen Theater im Zwin-
ger allerley deutsche Stücke aufführen, und vergnügten sich
wöchentlich zwey bis dreymal daran. Die Selige kam die-
sen Sommer nebst mir nach Dresden; und kaum hatten
Ihre Königl. Hoheiten meine Aufwartung gnädigst ange-
nommen, und meiner Freundinn Anwesenheit erfahren, als
Sie uns gnädigst Billete auf den adelichen Platz zuzusenden
die Gnade hatten, und uns also ihren Belustigungen bey-
zuwohnen erlaubten. Allein wie angenehm geriethen wir
nicht in Erstaunen, als wir das eigene Originalstück der
Wohlsel. die ungleiche Heurath, aufführen sahen. Noch
mehr verwunderten wir uns über die Gnade dieses erhabe-
nen Paares, als wir vernahmen, daß bereits ein ander
Stück zur Aufführung bestimmet gewesen; an dessen statt
aber wegen der Ankunft der Wohlseligen, eiligst ihr eigenes

----------[printed page number = "***4r"]----------


Stück vorzustellen befohlen worden; welches schon vorhin
vielmals war aufgeführet worden. Ihro Königl. Hohei-
ten hatten auch die besondere Gnade, die Verfasserinn, zu
Sich in die Unterbühne (Parterre) rufen zu lassen, um in
währender Vorstellung ihr Urtheil von den Schauspielern
zu vernehmen; und, wenn sie etwas fehlerhaftes anmerkte,
solches sogleich denselben sagen zu lassen, um es künftig zu
vermeiden. Dergleichen Billete bekamen wir hernach, so
lange wir in Dresden waren, jedesmal zugeschickt, hatten
auch öfters die Ehre, uns Ihrer Königl. Hoheit zu nähern,
und von Ihnen über die Vorstellung der Schauspieler gnä-
digst befraget zu werden. Ja die Gnade dieses erhabenen
Paares gieng so weit, daß sie einmal, da wir unter dem
letzten Auftritte, um dem Gedränge der Zuschauer zu ent-
kommen, uns etwas zeitiger entfernet hatten, so daß die
Durchl. Herrschaften uns am Ende nicht hinter sich erblick-
ten, des folgenden Tages, der Seligen einen gnädigen Vor-
wurf zu machen geruheten, daß sie das vorige mal nicht zu-
gegen gewesen. Verweise von so leutseliger Art, machen
sich die Herzen aller wohlgeordneten Seelen zu eigen, und
fässeln die Gesinnungen aller derer, die edel zu denken und
zart zu empfinden wissen.

Doch alles obige erschöpfte noch den Fleiß der Wohl-
seligen nicht. Sie gieng mir bey der beständig fortgehen-
den Arbeit am Zuschauer, und an der deutschen Schau-
bühne
, ja bey der Hülfe, so sie mir an dem baylischen Wör-
terbuche
leistete, auch bey der neuen Ausgabe der ver-
deutschten Theodicee an die Hand, die 1744 ans Licht trat.
Sie übersetzte mir nämlich dabey, nicht nur die fontenelli-
sche Lobschrift, auf den Freiherrn von Leibnitz, die ich der-
selben vorsetzete, mit solcher Artigkeit, daß die besonders
schöne Schreibart des Verfassers, im Deutschen ungemin-

----------[printed page number = "***4v"]----------


dert, und ungeschwächet blieb; welches an der vorigen
Ausgabe gefehlet hatte: sondern sie verdeutschte mir auch
zu den neuen Zusätzen dieser Auflage, alle diejenigen wich-
tigen Stücke, die ich aus dem Recueil de diverses pie-
ces
, de Mr. Leibnitz, Clarke &c. &c. hinzu zu setzen
für gut befunden hatte. Diese Stücke nun hielten so viel
tiefsinnige Materien, aus der innersten Metaphysik in sich,
daß sie keine geringe Einsicht und Fähigkeit von demjenigen
erforderten, der sie, dem wahren Sinne ihres Urhebers ge-
mäß, übersetzen wollte. Und gleichwohl wird man bey ih-
rer Arbeit nicht das geringste davon vermissen; zu einem
deutlichen Beweise: daß sie an der nöthigen Scharfsinnig-
keit und Einsicht in ihre Grundschrift, nicht den geringsten
Mangel gehabt.

Im 1742sten Jahre geschah es, daß mich die hiesige
Universität zu ihrem Gevollmächtigten auf den allgemeinen
Landtag nach Dresden ernannte; als ich eben mein zwey-
tes Decanat verwaltete. Zu dieser Reise nun, die mich
ganzer 7 Wochen lang von meiner Arbeit entfernete, nahm
ich die Wohlselige, als die beständige Gefährtinn meiner Be-
schäfftigungen mit; und sie fand daselbst viel Gelegenhei-
ten, nicht nur alles merkwürdige in Augenschein zu nehmen;
sondern auch viel gute Bekanntschaften, mit verschiedenen
vornehmen Häusern zu machen; darinn der aufblühende
Ruhm ihrer Gaben und Schriften bereits erschollen war.
Allein, da unter der Zeit meiner Abwesenheit, auch der
Druck des baylischen Wörterbuches immer seinen Fortgang
hatte; so setzte sie auch ihre Arbeit in Verbesserung des Ma-
nuscripts, und im Vorlesen desselben, zu meiner eigenen
Erleichterung, unausgesetzt fort. Die sel. Königl. Hofzeich-
nerinn, Frau Wernerinn, die in Sprachen und schönen
Wissenschaften noch viel schätzbarer, als in ihrer Kunst war,

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war eine gebohrne Danzigerinn; die sich das Recht, ihre wer-
the Landsmänninn zu beherbergen, vorbehielt, und uns diese
ganze Zeit über, alle nur ersinnliche Höflichkeiten erwieß.

Mittelmäßige Geister nun würden diese bisher benann-
ten Arbeiten schon dergestalt beschäfftiget, ja überhäufet ha-
ben, daß sie ihnen kaum gewachsen gewesen wären, viel-
weniger noch an etwas anders hätten denken können. Al-
lein bey der Wohlseligen war auch dieß alles noch nicht ge-
nug, ihre höchst wirksamen Seelenkräfte sattsam anzustren-
gen. Sie hatte immer noch Lust und Muße genug übrig,
auch auf etwas anders zu sinnen. Dieß bewies auch in die-
sem arbeitsamen Zeitlaufe der popische Lockenraub, den sie
aus dem Engländischen übersetzte, und 1744 ans Licht stel-
lete. Wie sauer ihr diese Dollmetschung geworden, da sie
dieselbe anfänglich nach der französischen Uebersetzung unter-
nommen, und großen theils zu Stande gebracht hatte; her-
nach aber bey befundener großen Unrichtigkeit, von neuem
umarbeiten, und nach dem brittischen Grundtexte zum an-
dern male verdeutschen müssen, hat sie in der Vorrede selbst
gemeldet. Sie ließ auch ihren Unwillen, über den galli-
schen Dollmetscher nicht undeutlich blicken, ohne zu wissen,
daß derselbe unser sehr werther Freund, und ein berühmter
Gelehrter in Deutschland wäre. Allein sie hatte bald Ur-
sache solches gewissermaßen zu bereuen, als sich derselbe auf
die artigste Manier, für den Verfasser der so betitelten
Boucle de Cheveux enlevée, erklärte, über den sie sich
so merklich entrüstet hatte. Ich muß diesen Umstand etwas
deutlicher anführen; zumal er eine andre Begebenheit ihres
Lebens mit beybringen wird, die ich dennoch hätte berüh-
ren müssen.

Nach beschlossener vierjährigen Arbeit am baylischen
Wörterbuche
, that ich zu einiger Veränderung und Erho-

----------[printed page number = "***5v"]----------


lung der Kräfte, eine Reise in mein Vaterland, nach Kö-
nigsberg in Preußen, welches ich seit zwanzig Jahren nicht
gesehen hatte. Die Selige konnte bey dieser Reise auch die
Ihrigen in Danzig besuchen, von denen sie seit neun vollen
Jahren getrennet war. Diese Reise ward also um Pfing-
sten unternommen; und über Berlin und Stargard, und das
gräfl. Manteufelische Kummerfrey, bey Kerstin gelegen,
auf Danzig, innerhalb 8 Tagen vollendet: woselbst wir
vier Wochen lang uns bey ihren Blutsfreunden und Ver-
wandten vergnügeten. Von hier giengen wir auf einen
Monath noch 24 Meilen weiter, über Marienburg, El-
bing, Braunsberg und Heiligenbühel, nach Königsberg,
woselbst man sich dazumal anschickte, das zweyhundertjäh-
rige Jubelfest, der von Markgraf Alberten gestifteten Uni-
versität zu begehen. Hier wiederfuhr nun der Wohlseligen
von allen meinen Freunden und Angehörigen, alle nur ersinn-
liche Ehre; indem sie schon durch ihre Schriften so bekannt
daselbst geworden war, als sie immermehr in Sachsen seyn
konnte. Im Anfange des Monaths August kehrten wir in
Begleitung des sel. Professor Flottwells, nach Elbing zu-
rück, wo wir abermal von dem preußischen Residenten,
Hrn. Hofr.von Pöhling, sehr wohl aufgenommen wurden.
Von hier endlich giengen wir zu Wasser über das frische
Haf nach Danzig, um nach genommenen Abschiede von
ihren Angehörigen, wieder nach Sachsen zu kehren. Dieß
geschah gegen das Ende dieses Monaths, bis nach Star-
gard: wo wir gerade den Tag ankamen, da das Gymna-
sium daselbst, das Königsbergische Jubelfest begangen hat-
te, und auch uns des Abends noch mit einer öffentlichen
Musik der Gymnasiasten beehrete.

Tages darauf reiseten wir, in Begleitung des Herrn
Prof. Denso nach Stetin ab: wo wir gleichfalls zu eben

----------[printed page number = "***6r"]----------


dieser Jubelfeyer ankamen, welche daselbst drey Tage lang
begangen wurde. Hier geschah es nun, daß wir unter an-
dern Bekannten und Freunden, die Mitglieder der man-
teufelischen alethophilischen Gesellschaft waren, auch den
Herrn Hofprediger von Perard antrafen, den wir schon in
Sachsen gekannt hatten, als er seine Heurath allhier mit
einer jungen Engeländerinn vollzogen hatte. Dieser war
nun vor andern sehr eifrig, uns alle Gefälligkeiten und Höf-
lichkeiten im Ueberflusse zu erweisen. Aber nichts konnte
der Wohlseligen unvermutheter begegnen, als da dieser
gastfreye und geistreiche Gelehrte, ihr offenherzig gestund:
daß er eben derjenige sey, der durch seine freye Uebersetzung
des Lockenraubes, ihr so viel vergebliche Mühe gemachet
hätte. Man kann leicht denken, wie leid es derselben ge-
worden, daß sie unwissend, einen so gefälligen Freund, und
leutseligen Mann, durch ihre Klagen über die Ungebunden-
heit der französischen Uebersetzungen, angegriffen; zumal,
da er die ganze Sache auf eine so artige Manier aufgenom-
men, und ihr einen unversehens begangenen Vorwurf, gar
nicht übel genommen hatte.

Diesen Lockenraub nun, dem zu gut ich diese kleine
Ausschweifung machen müssen, eignete die Wohlselige auf
des sel. Herrn Grafen von Mannteufel Anrathen, der
Durchl. Herzoginn von Gotha zu; einer Fürstinn, die
schon damals den Wissenschaften höchst ergeben und zuge-
than war. Ein artiges Andenken von derselben, das in ei-
nem schönen Ringe, und goldenen Etuis bestund, bezeig-
te ihr die gnädige Aufnahme dieser großen Herzoginn: die
sie auch nachmals persönlich zu genießen Gelegenheit ge-
habt; wie in dem folgenden erhellen wird.

Weit gefehlt aber, daß nun die Wohlselige, nach dieser
Veränderung auf einer Reise, von mehr als 200 Meilen,

----------[printed page number = "***6v"]----------


sich einer größern Gemächlichkeit und Muße bedienen wollen:
so machte sie sich nach vollendetem Zuschauer, an Addisons
Guardian. Den ganzen Winter und Frühling hindurch,
übersetzte sie ganz allein die beyden Bände desselben, so daß
sie schon 1745, an der Michaelismesse, beyde ans Licht ge-
stellet erblicken konnte. In der Vorrede meldete sie selbst
die Ursachen, warum sie dieß Werk zu verdollmetschen
übernommen; nämlich weil die berühmten Verfasser dessel-
ben, Steele, Pope und Addison, die größten Geister
Brittanniens, daran gearbeitet; und dennoch bey dem
reichsten und stärksten Witze, den sie auf allen Blättern
gewiesen, allemal der Religion das Wort geredet; weit
gefehlet, daß sie derselben als Freygeister gespottet haben
sollten! Ich kann nicht umhin hier einige Worte derselben
mit einzurücken, die, da sie ihre ernstlichsten Gesinnungen
entdecken, ihr gewiß Ehre machen werden; so lange diese
ihre Dollmetschung in der Welt seyn wird. So schreibt
sie auf der 5. und 6ten S. ihrer Vorrede:

„Noch eines Vorzuges dieses Buches muß ich erwäh-
nen, indem derselbe fast hauptsächlich mich bewogen, diese Ar-
beit zu unternehmen. Es ist nicht zu läugnen, daß es bey dem
mannigfaltigen Guten, welches unserer Nation, seit einigen
Jahren, durch die mehr und mehr üblich gewordene Kenntniß
der engländischen Sprache, und derer darinn verfertigten Bü-
cher, zugeflossen ist, sich auch viel Böses eingeschlichen,
welches außer diesem bey uns vielleicht viel später bekannt
geworden wäre. Man kennet die Freyheit einiger britti-
schen Schriftsteller zur Gnüge, womit sie das Ansehen der
sittlichen und göttlichen Wahrheiten zu untergraben bemü-
het gewesen, und zum theil noch sind. Dieses Gift hat
bey einigen, und vielleicht nur bey gar zu vielen Gemü-
thern unter uns, einen schnellern Eingang gefunden, als

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zum Besten der zukünftigen Zeiten zu wünschen wäre. Es
giebt viele junge und bereits erwachsene Leute, welche glau-
ben, ein großer Geist und ein Freygeist, ein witziger Kopf
und ein Religionspötter, ein geistreicher Mann und ein
Wollüstling, das wäre einerley: und es ist zu bedauren,
daß dieser Irrthum nun gar zu oft solche Köpfe einnimmt,
von denen das Vaterland, außer diesem, die größten Vor-
theile und alle Ehre zu hoffen hätte. Dergleichen Leute
nun werden allhier einen Schriftsteller, oder vielmehr einige
der besten engländischen Schriftsteller erblicken, die alles ihr
Vermögen anstrengen, diesem Unheile zu steuren. Es
sind tiefsinnige Weltweisen, die sichs für keinen Schimpf
halten, Christen zu seyn. Es sind witzerfüllte Männer, die
diese Gabe nicht zur Verachtung der Diener des Herrn an-
wenden. Es sind Leute, die den feinsten Spott in ihrer Ge-
walt haben, und dennoch damit weder der Unschuld, noch
den guten Sitten zu nahe treten. Es sind Leute, welche die
Welt, ja die große und reizende Welt gesehen haben; und
dennoch nicht glauben, daß es ein Uebelstand sey, mäßig,
bescheiden und keusch in Thaten und Ausdrücken zu seyn.
Es sind Personen, die gewiß unter den Geschöpfen ihrer
Art im ersten Range stehen, und dennoch keinen Ruhm der
Tiefsinnigkeit darinnen suchen, an dem Daseyn ihres gro-
ßen Urhebers zu zweifeln. Es sind endlich große Geister,
die es für kein Zeichen der Dummheit halten, eine ewige
Glückseligkeit oder Unglückseligkeit zu glauben. Wer weis
nun, ob ein solcher Anblick nicht einige von unsern neuern
Freygeistern auf bessere Gedanken bringt? Oder wofern
ja eben dieses sie abhalten sollte, sich zur Zahl meiner Leser
zu gesellen: so wird doch dieses Werk vielleicht in dieser
Absicht, denenjenigen nützlich seyn können, die sich nur
durch fremde Beyspiele verführen lassen, und vom Hören

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sagen glauben, daß alle Engländer Freygeister und
Wollüstlinge sind. Erreiche ich aber auch nur diesen
Endzweck, so will ich meine Mühe für hinlänglich vergol-
ten halten„.

Nachdem sie hernach den schlechten Werth der franzö-
sischen Uebersetzer gerüget, auch die Ursachen angezeiget,
warum sie das Wort Guardian durch Aufseher und
Vormund verdeutschet, und sich über den sehr unbescheid-
nen Vorredner von Königs Gedichten, mit einiger Frey-
müthigkeit beschweret, der sie zum Abscheue aller Ver-
nünftigen, auf eine sehr plumpe Art angegriffen hatte; so
theilete sie ein Schreiben eines ungenannten C. L. S. mit,
welches ihr den 18. April 1745 zugeschicket worden war;
und dessen Absicht nicht zu errathen stund. Sie antwortete
aber demselben auf eine so gründliche und methaphysische Art,
daß er vermuthlich damit zufrieden gewesen seyn muß;
weil er sich nach der Zeit niemals wieder gemeldet. Uebri-
gens haben alle Kenner des Englischen, hier sowohl, als bey
der Uebersetzung des popischen Lockenraubes, gestan-
den: daß sich die Wohlselige dieser Sprache vollkommen
mächtig gewiesen.

Von diesem letztern kann ich einen Zeugen anführen,
dessen Ansehen gewiß groß, und sonder Ausnahme seyn
wird. Es ist der sel. Herr von Hagedorn in Hamburg
gewesen; der gegen alle seine Freunde, und selbst gegen
Fremde, die ihn besuchet, solches gestanden; und zugleich
bemerket: daß an einigen schlüpfrigen Stellen, die Pope
mit einfließen lassen, die Uebersetzerinn augenscheinlich nicht
aus Unwissenheit, sondern aus einer ihrem Geschlechte und
den guten Sitten höchstanständigen Bescheidenheit, von dem
Grundtexte abgewichen sey; hingegen auch in ihren Noten,
gewissen dunkeln Stellen des Dichters, die er vorhin selbst

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niemals verstanden, ein unerwartetes Licht angezündet ha-
be. Z. E. die Stelle von den Siegelringen an dem Hal-
se eines Anherrn, auf der 42. und 43. S. die sie aus un-
sers ehrlichen Zinkgräfs Apophtegmaten, aufs glücklichste
erläutert hat.

Das 1746 und 1747ste Jahr hat die Wohlselige zwar
nicht mit einer ans Licht getretenen Arbeit bezeichnet, aber
gleichwohl nicht im Müßiggange zugebracht. Da ihre
Feder mir öfters hülfreich an die Hand gegangen, so kann
ich nicht unterlassen, ihr solches auch hier nachzurühmen.
Bey den meisten Theilen meiner Schaubühne hatte ich
Verzeichnisse deutscher Schauspiele bekannt gemachet, um
gewissen Lästerern den Reichthum unsrer deutschen Bühne
zu zeigen. Diese aber waren, wie sie mir ungefähr in die
Hände gefallen, und also ohne eine chronologische Ordnung,
wenigstens im Ganzen nicht, abgefasset worden. Hier
wünschte ich nun, aus allen diesen Verzeichnissen, nebst de-
nen, die in Hanns Sachsens und Ayrers Schriften be-
findlich, auch in Draudens deutscher Bibliothek genen-
net waren, in ein allgemeines chronologisches Verzeichniß
gebracht zu sehen. Niemand war willfähriger, als eben
sie, diese an sich mühsame, obgleich nicht sehr rühmliche
Arbeit zu übernehmen: und diese führte sie mit dem größ-
ten Eifer aus: so daß ich dadurch fast den ganzen Stoff
zu meinem nachmals ans Licht gestellten nöthigen Vor-
rathe zur Historie der deutschen dramatischen Dicht-
kunst
in die Hände bekam: der aber durch die nach und
nach gemachten fernern Entdeckungen, noch immer vermeh-
ret werden mußte, und wirklich vermehret worden.

Eine andere Arbeit war es, da Sie in meiner allmäh-
lig anwesenden Bibliothek, alle Pergamentbände mit sehr
zierlichen Titeln der Bücher, aufs sauberste beschrieb; die

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oft von Kennern der Kalligraphie bewundert worden. Und
damit ist sie fast bis an ihr Ende fortgefahren; da sie näm-
lich, wegen des Zitterns ihrer Hände, nicht ferner mehr so
schön zu schreiben im Stande war.

Noch eine verschiedene aber, zu ungleich mehrerm Ruh-
hme gereichende Bemühung war es, als sie mir in diesen
Jahren, in Sammlung der Materialien, zu meiner kriti-
schen Historie der deutschen Sprache, Poesie und
Beredsamkeit
an die Hand gieng. Von unzählichen al-
ten und seltnen Büchern nämlich, die mir in die Hände fie-
len, machte sie mir Nachrichten und kurze Auszüge; weil
ich selbst mit so vielen andern akademischen Arbeiten beschäff-
tiget war, daß ich ohne ihre Hülfe, schwerlich alles hätte
bestreiten können. Als aber die Zahl ihrer Auszüge all-
mählich so ansehnlich und groß ward, daß ich mir ein Ge-
wissen machte, so viel Fremdes in mein Werk einzuschalten,
und für meine Arbeit auszugeben: so rieth ich ihrs an,
selbst von der lyrischen Dichtkunst der Deutschen eine Ge-
schichte zu schreiben; welches Feld ich sodann von meinem
größern Werke trennen, und ihr ganz allein überlassen
wollte. Diesen Vorschlag ließ sie sich leicht gefallen, und
arbeitete desto fleißiger daran fort. Es wuchs auch ihr
Vorrath dergestalt unter ihren Händen, daß sie etliche Jah-
re vor ihrem Tode, diese Geschichte der lyrischen Dichtkunst
von Ottfrieds Zeiten an, bis auf das Ende des vorigen
Jahrhunderts, mit den Vorreden und Einleitungen ganz
zum Drucke fertig hatte; und ich der Welt schon etliche
mal Hoffnung machte, selbige bald ans Licht treten zu sehen.
Allein leider! umsonst: und diese schöne Hoffnung ist nun
auf ewig verlohren! Warum? Der Geschmack der Verle-
ger ist dem Gutachten der Schriftsteller nicht allemal ge-
mäß. Ein Buch, welches so viele Liebhaber sehnlich wün-

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scheten, und das den Verdiensten unsrer Alten ein sehr hel-
les Licht versprach, war keinem Verleger reizend genug, sei-
ne Kosten daran zu wenden. Wie oft habe ichs nicht, den
besten unter ihnen angepriesen und dargebothen! Allein je-
derzeit umsonst. Diese Kaltsinnigkeit, und Unmöglich-
keit nun, es in so vielen Jahren unterzubringen, hat die
Selige kurz vor ihrem Ende so aufgebracht, daß sie ohne
mein Wissen, es einmal im Zorne den Flammen aufgeopfert.
Ich habe nämlich auch kein einziges Blatt davon unter ih-
ren Papieren angetroffen: ein Verlust, der gewiß unersetz-
lich ist, und mir schon etliche mal Thränen gekostet hat;
da ich am besten weis, wie mühsam sie daran gearbeitet,
und mit was für Witz und Geist sie alle ihre Auszüge ab-
gefasset hatte.

Im 1747sten Jahre kam zu Amsterdam das berufene Buch,
Les francs Massons écrasés heraus: dessen Uebersetzung
Neaulme und Bourdeaux zu Berlin, ihr so sehnlich auf-
trugen, und so reichlich vergalten, daß sie es ihnen nicht ab-
schlagen konnte. Die deutsche Welt hat ihr also auch die
so betitelten gestürzten Freymäurer zu danken gehabt, oh-
ne es bisher gewußt zu haben; so wie sie ihr auch den Pai-
san parvenu
, oder glücklich gewordenen Bauer des
Herrn Marivaux, zu danken gehabt; einen kleinen Ro-
man, der aber die menschlichen Leidenschaften so sinnreich
schildert, daß sich die Wohlselige entschloß, hier von ih-
rem allgemeinen Abscheue gegen die Romanen, eine Aus-
nahme zu machen. Gleichwohl mußte der Verleger ihr
heilig angeloben, die Uebersetzerinn desselben niemals zu
verrathen: wie er denn auch redlich gethan, und dieß Ge-
heimniß mit in die Grube genommen hat. Ihr Tod,
und ihre Ehre aber entbindet mich von der Verschwei-
gung einer so schönen Arbeit; die ihr gewiß keine

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Schande machen kann, wenn sie gleich bekannt geworden
seyn wird.

Im 1748sten Jahre schrieb ich meine deutsche Sprach-
kunst
; und auch bey dieser habe ich den fleißigen Beystand
meiner sel. Gehülfinn ungemein zu rühmen gehabt. So-
bald ich ein Verzeichniß von Wörtern, die von diesem
oder jenem Geschlechte, von dieser oder jener Abwandelung,
oder sonst in eine Classe gehörig waren, nöthig, aber es
selbst auszusinnen keine Zeit hatte; war sie die sicherste Zu-
flucht ihres Gatten. Ja bey allen folgenden Ausgaben
hat sie mir dieselben nicht nur fleißig ergänzet; sondern auch
die hinten angehenkten Sprüchwörter und Kern‐Redensar-
ten der Deutschen ausgezogen und gesammlet: so daß ich
darinnen keine geringe Erleichterung von ihrer Feder erhalten
habe; des orthographischen Bedenkens itzo nicht zu erwähnen.

In diesem Jahre gieng ferner die Selige mit den Ge-
danken um, das mit recht so berühmte Spectacle de la
Nature
, welches sie mit dem größten Vergnügen las, zu
verdeutschen. Als aber von demselben unverhofft in Nürn-
berg, eine wiewohl sehr schlechte Uebersetzung des I. Bandes
erschien, ließ sie dieß ihr Vorhaben fahren; und ergriff
meinen Vorschlag, lieber die Histoire de l'Academie
Royale des Inscriptions & belles Lettres
, vor die
Hand zu nehmen. Sie war so glücklich, an Hrn. Krausen
in Wien einen guten Verleger dazu zu bekommen, und
gab es wirklich im folgenden Jahre unter die Presse, so
daß es gegen Michael fertig ward, und zwar eben damals;
als wir nach dem Gebrauche des Karlsbades, über Nürn-
berg und Regenspurg, nach Wien gegangen waren, den
ersten Band dieser Uebersetzung, Ihrer kaiserl. Majestät,
der selbige gewidmet war, persönlich zu Füßen zu legen.
Da dieses ein sehr merklicher Zeitpunkt des Lebens der Wohl-

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seligen gewesen, so muß ich denselben wohl etwas ausfür-
licher erzählen.

Bey allen ihren gelehrten Arbeiten, hatte sich doch die
Wohlselige dem Umgange, sonderlich mit Personen ihres
Geschlechtes, niemals ganz entzogen. Machte sie gleich nicht
täglich Besuche, so gieng doch so leicht keine Woche hin,
da sie nicht mit einigen der vornehmsten Frauen dieser Stadt in
Gesellschaft war, die sie denn auch wiederum besuchten.
Oft geschah es auch, daß sie von fremden Personen beyder-
ley Geschlechtes, die in und außer den Messen nach Leipzig
kamen, oder nur durchreiseten, um ihres bloßen Ruhmes
halber besuchet wurde. Das hochgräfliche Manteufelische
Haus mit seinen vier vortrefflichen Töchtern, das reichs-
gräfliche Castellische
⋆( mn4

⋆ ) Der Herr Graf Castellwar Gouverneur allhier.

, das gräflich Einsiedelische Haus
⋆⋆) mn5

⋆ ⋆ ) Die Frau Oberhofmarshallinn Gräfinn von Einsiedel, geb.
Gräfinn Flemming, die sich einen ganzen Winter hier aufhielt.

,
und des Hrn. geheimen Kriegsraths von Dießkau noch le-
bende Frau Gemahlinn, die oft hier war, dienten ihr zu
einer rühmlichen Schule der feinsten Hofsitten. Selbst in
dem hochgräfl. Seckendorfischen Landsitze zu Meuselwitz, hat
sie bisweilen eines angenehmen Aufenthaltes von 8 bis 14
Tagen mit mir genossen, und von der hochsel. Frau Feld-
marschallinn Excellenz, sowohl als von dem itzt 90jährigen
gottseligen Helden sehr viel Gnade empfangen. Selbst bey
dem 50jährigen hochzeitlichen Jubelfeste dieses hohen Paa-
res 1749 hatten wir die Ehre, mit unter den vornehmsten
Gästen an der ersten Tafel zu seyn, und des leutseligen Um-
ganges der allervornehmsten Personen zu genießen. Endlich
hatte sie denn auch das Glück gehabt, in Altenburg von
der durchlauchtigsten Herzoginn, der Zierde ihres Geschlech-
tes, einer sehr gnädigen Audienz gewürdiget zu werden.



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Dieses führe ich nur darum an, damit die Nachwelt
nicht glaube, ich hätte ihr bloß den Lebenslauf einer schüch-
ternen, lichtscheuen Pedantinn beschrieben, die in den Sit-
ten der großen Welt unerfahren, und zum Umgange mit
Standespersonen ungeschickt gewesen wäre. Vielmehr war
ihrer Neigung nach, der vornehmste Umgang ihr allezeit der
beliebteste und natürlichste gewesen: und eben dadurch ward
ich denn veranlasset, sie nach solchen Vorbereitungen,
selbst an den höchsten Hof von Deutschland zu führen, und
ihr eine, ihrer Gaben anständige Bühne, zu zeigen. Dieses
bewerkstelligte ich nun durch eine vorläufige Reise ins Carls-
bad, welche im Sommer 1749 unternommen ward: als
eben ihr erster Theil von der Geschichte der Pariser‐Akade-
mie der schönen Wissenschaften
im Drucke fertig werden sollte.
Auch in diesem Bade fanden wir Gelegenheit und Mittel,
welches sonst sächsischen Badegästen, zumal bürgerlichen
Standes, sehr schwer fällt, uns in die Gesellschaft des vor-
nehmsten böhmischen Adels zu schwingen, und täglich in
seinem Umgange zu seyn. Die Gräfinnen von Nostitz,
und von Bubna mit ihren Fräulein, sahen bald die Vor-
züge der Wohlseligen vor andern Personen ihres Geschlech-
tes ein, und erlaubten ihr gern den Zutritt, und alle die
Vorzüge, die keiner andern bürgerlichen Frauensperson, wenn
sie gleich katholisch, und aus Prag gewesen wäre, verstat-
tet ward. Da nun auch verschiedene vornehme sächsische
Damen, sie gleicher Vertraulichkeit würdigten: so ward
dadurch der Wohlseligen ihr Gemüth nicht wenig zu dem
großen Auftritte bereitet, den ich mit ihr vorhatte, indem
ich sie über Nürnberg und Regenspurg nach Wien führen
wollte.

An dem ersten dieser Orte, fand sie eine werthe Freun-
dinn, mit der sie schon eine Zeitlang einen vertrauten Brief-

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wechsel geführet hatte, das vortreffliche Fräul. Thomasius,
auf Wiedersberg und Troschenreuth; die Tochter des so be-
rühmten Hofraths und Leibarztes, Gottfried Thomasius.
Diese hatte sich bey unsrer Reise einen freundschaftlichen Be-
such ausbedungen, den wir ihr unmöglich abschlagen konn-
ten. Sie nahm uns wirklich am Ende des Augusts auf,
verschaffte uns gute Bekanntschaften und Vergnügungen in
Nürnberg, und knüpfte das Band der Freundschaft mit
meiner Freundinn noch viel fester, als es vorher geschlun-
gen gewesen. Man wird die Proben davon in den Ehren-
gedichten der Wohlseligen mit mehrerm antreffen; und bald
werde ich noch eine deutlichere anzuführen Gelegenheit
haben.

Doch ich habe etwas vergessen beyzubringen. Als wir
über Bayreuth auf Erlangen kamen, und ich daselbst einen
Tag ruhen wollte, einige gelehrte Freunde daselbst zu spre-
chen, traf sichs, daß der sel.D. Chladenius eben eine öffent-
liche Disputation hielt. Da wir nun in Begleitung Hrn.
D. Huts, die akademischen Gebäude, die Bibliothek und
Hörsäle besehen hatten, führte dieser wackere Theolog, als
damaliger Dechant seiner Facultät, an seiner Hand, die
Wohlselige alles ihres Weigerns ungeachtet, in den zum
Disputiren bereits angefüllten theologischen Hörsaal, und
nöthigte sie, neben dem ansehnlichen Director der Universität,
Hrn. Hofrath von Meiern, Platz zu nehmen. Der hoch-
ehrwürdige Präses der gelehrten Unterredungen ermangelte
auch nicht, ihr in seinen Anreden die höflichsten Erklärungen
zu thun: die ihm und ihr zu gleicher Ehre gereicheten; von
ihr aber, jedesmal mit den geziemenden Zeichen der Er-
kenntlichkeit und Demuth, beantwortet wurden; so daß ihre
Kenntniß der gelehrten Sprache, auch bey schweigenden
Lippen jedermann ins Auge fiel.



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Die Wohlselige gieng also nebst mir den 5. Sept. aus
Nürnberg, und kam den 6ten in Regenspurg an. Den
7ten giengen wir zu Schiffe, auf der Donau, über Strau-
bingen, Deckendorf, Passau, Linz, und Stein, auf
Wien ab, wo wir den 12ten ankamen. Tages darauf hat-
te die Selige zum ersten male das Glück, bey der öffent-
lichen Proceßion, aus der Burg zur Stephanskirche, zum
jährlichen Andenken, des im vorigen Jahrhunderte gesche-
henen glücklichen Entsatzes dieser Residenz, von einer tür-
kischen Belagerung, der allerdurchl. Kaiserinn Königinn Ma-
jestät zu sehen. Die majestätische Schönheit dieser Mo-
narchinn, die aller Menschen Augen und Herzen dazumal
einnahm und gewann, entzückte auch die Wohlselige un-
gemein: so daß sie nichts mehr wünschete, als sich dersel-
ben unterthänigst nähern zu dörfen: wozu aber gleich an-
fangs kein möglicher Weg sich zeigen wollte.

Indessen besah dieselbe, soviel ich ihr durch meine
Verbindungen und Bekanntschaften mit einigen Großen,
und Freunden, Gelegenheiten verschaffen konnte, alle
Merkwürdigkeiten von Wien. Die kaiserl. Bibliothek und
Bildergalerie, wozu hernach auch der kaiserl. Schatz, und
das Münzkabinet kamen, waren das erheblichste. Hetzen-
dorf, als der höchstsel. Kaiserinn damaliges Lustschloß, und
Kloster-Neuburg, woselbst die Reliquien des heil. Leo-
polds und der heil. Agnes ruhen, wurden auch besuchet. Zu
den beyden Schauplätzen, hatte der Graf von Losy, als
Director aller Lustbarkeiten, uns gleich bey unserer Ankunft
in Wien, ein Freybillet auf die ganze Zeit unsers Daseyns,
und zwar auf der Gallerie, oder dem adelichen Platze er-
theilet; dessen wir uns nach Belieben bedienen konnten:
das aber die Selige hauptsächlich dazu brauchte, um Ihre kai-

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serl. Majestät in Dero Loge recht mit Muße betrachten zu
können: welches ihr auch einmal in der Oper gelung.

Da nun bey dem ersten Stücke, der damalige erste
Custos der Kaiserl. Bibliothek, der nunmehr verstorbene
Herr Forlosia, uns einige alte griechische Handschriften,
z. E. vom Dioskorides wies, welches für das älteste gehal-
ten wird, ließ sich die Selige ungefähr blicken, daß sie etliche
Zeilen davon lesen konnte, legte auch sonst beyläufig einige
unversehene Proben ab, daß sie des Lateins kundig wäre.
Diese Kleinigkeiten, nebst ihren französischen Unterredungen
mit demselben Gelehrten, gaben unvermuthet Gelegenheit,
daß derselbe solches dem Hrn. Baron von Swieten, als
kaiserl. Leibarzte und Bibliothekar, erzählet, dieser aber
Ihrer Kaiserl. Majestät selbst vorgebracht haben muß: wie
wir nachmals aus dem Munde dieser großen Monarchinn
selbst vernehmen konnten.

Auch an großen Tafeln, wo die Selige nebst mir zu
speisen die Ehre gehabt, z. E. an der fürstl. Lichtensteini-
schen, gräfl. Esterhasischen, Freyherrl. Bartensteinischen,
und der Herren Reichshofräthe von Knorr, von Vockel
und von Senkenberg, ihren, u. d. m. auch hier, sage ich
ward ihr Verdienst, und ihre Geschicklichkeit jedesmal mit
vielem Beyfalle bekannt. Es breitete sich also in ganz Wien
ein Gerücht aus, daß eine gelehrte Frau aus Sachsen in
Wien sey; welches bis vor die Kaiserl. Herrschaft gedrungen
war: als des Herrn Grafen Esterhasi Excellenz, als mein
gnädiger Herr, die von mir im Karlsbade verfertigte, und
zu Regenspurg gedruckte Ode, Ihrer Kaiserl. Majestät in
die Hände zu bringen, und mir dadurch eine allergnädigste
Audienz zu verschaffen bemühet war.

Es gelung ihm auch nach Wunsche, und wir erhielten
beyde Befehl, des Sonntags vor Michael früh um 10 Uhr

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uns im Schönbrunner Vorzimmer einzufinden; weil die
höchste Herrschaft uns zu sehen begehrte, ein Glück, wel-
ches wir zwar sehnlichst gewünschet, aber selbst zu verlangen
nicht das Herz gehabt hatten. Wir fanden uns ein: und
unser gnädiger Gönner empfieng uns daselbst, unter einer
großen Menge von Hofleuten, die der Herrschaft beym
Kirchengange die Aufwartung machen wollten. Bald er-
schien der Fürstinn Trautson hochfürstl. Gnaden, mit den
drey ältesten Durchlauchtigsten Erzherzoginnen, welche hier-
durch zu der Kaiserinn Majestät geführet wurden, um der-
selben den Morgengruß abzustatten. Der Herr Graf
Esterhasi stellte dieser verdienstvollen Oberhofmeisterinn,
meine Freundinn vor, welche dieselbe sogleich ihren jungen
Prinzeßinnen darstellete, mit den Worten: dieß wäre die
berühmte gelehrte Frau, aus Sachsen, von der sie bereits
reden gehöret hätten. Eine sehr huldreiche Mine und gnä-
dige Antwort erlaubte uns beyden den Handkuß: und so
verfügte sich die Fürstinn zu Ihrer Kaiserl. Königl. Maje-
stät, wie sie sagte, um unsere Anwesenheit zu melden.

Kurz darauf kam ein Bedienter, der uns ihm zu fol-
gen auffoderte, und uns in ein Zimmer führte, wo wir diese
gnädige Fürstinn fanden, die uns bis zur Ankunft Ihrer Kais.
Majestät unterhielt, deren eigenes Wohnzimmer, an dieß
Nebenzimmer anstieß. Sie erschien, die größte Frau von
Europa, ja von der ganzen Welt; deren Eigenschaften
alle ihre Kronen, ja noch mehrere verdienen. Sie erschien,
wie eine Göttinn, die in ihren Blicken, sanften Gesichts-
zügen und lächelnden Lippen, allenthalben, wohin sie kömmt,
die Glückseligkeit und Freude mitbringet. Wir war-
fen uns derselben zu Füßen, und hatten beyde das Glück
die schönste Kaiserl. Hand zu küssen; indessen daß der

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gnädigste Befehl erscholl: wir sollten aufstehen. Wir
gehorsamten.

Da ich hier den vornehmsten Auftritt ihres Lebens zu
erzählen habe, werde ich wohl am Besten thun, wenn ich
die Selige selbst reden lasse, und zwar so, wie sie densel-
ben Tag, nach dieser merkwürdigen Audienz, als sie von
dem gehabten Glücke, so zu reden, noch ganz trunken war,
an eine ihrer vertrautesten Freundinnen, das Fräulein Tho-
masius, davon geschrieben hat; so wie ich den Entwurf da-
zu, unter ihren Briefschaften finde. Er lautet so:

"
Wien den 28. Sept. 1749.

Fürs erste umarme ich Sie, mein Engel! von ganzer Seelen.
Fürs andere, da ich der Meynung bin, daß man eine Glückselig-
keit nur halb genießt, die man mit seinen Freunden nicht theilet; so
melde ich Ihnen, daß, wofern ich je in meinem Leben Ursache
gehabt habe stolz zu seyn, es an dem heutigen Tage ist. Sie
merken leicht, mein Leben! daß ich die Kaiserinn gesehen ha-
ben muß: und Sie irren sich nicht. Ja, ich habe Sie gesehen!
die größeste Frau von allen Frauen! die sich durch sich selbst,
weit über alle ihre Thronen erhebt. Ich habe Sie nicht nur ge-
sehen; sondern auch gesprochen; nicht nur gesprochen; sondern
drey viertel Stunden lang gesprochen: Ich habe Sie als Gat-
tinn und als Mutter gesprochen: das heißt, in Gegenwart Ih-
res Gemahls, des Durchl. Erzherzogs, und dreyer Erzherzo-
ginnen. Verzeihen Sie, mein Herz! wenn meine Erzählung
unordentlich und meine Schrift unleserlich wird. Beydes ge-
schieht aus Freude, die nicht anders als übermäßig seyn kann,
da ich an einem Tage zwo Glückseligkeiten, fast zugleich genieße;
nämlich die Kaiserinn gesprochen zu haben: und es Eurer Hoch-
wohlgeb. sogleich erzählen zu können. Des Morgens um 10
Uhr waren wir in Schönbrunn, wohin uns der Graf Esterhasi
(der uns diese Audienz veranlasset) bestellet hatte. Er glaubte
indessen noch, daß wir nur in der großen Antichambre der Kai-

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erinn, mit 100 andern Personen zugleich die Hand küssen wür-
den, wenn Sie nach der Kirche gienge. Wir hielten uns also
daselbst mit ihm zugleich auf, und hatten in einer halben Stunde
die Gnade, die drey Durchl. Erzherzoginnen vorbey gehen zu se-
hen; die aber, auf des Hrn. Grafen Bericht an die Fürstinn
Trautson, (ihre Oberhofmeisterinn) wer wir wären, wieder
umkehreten, und uns die Hand zum Küssen reicheten: wobey ich die
Ehre genoß, von der ältesten Durchl. Prinzeßinn (Sie ist 10
Jahre alt) ein überaus gnädiges Compliment, wegen des vielen
Guten was Sie von mir gehöret hätte, zu vernehmen, und da-
bey Ihren Verstand und Ihre Leutseligkeit zu bewundern. Ver-
zeihen Sie mir, mein Engel, daß dieser Absatz ein wenig ruhm-
redig klingt. Es wird noch viel ärger kommen: allein ich kann
Ihnen keinen Begriff von der fast unglaublichen Gnade dieser
höchsten Personen zu machen; ohne viel Gutes von mir herzu-
schreiben: davon Sie am Besten wissen, daß es nicht halb wahr ist.
Gegen eilf Uhr kam ein Kaiserl. Kammerfourier und sagte uns,
wir sollten ihm folgen. Er führte uns durch viel prächtige
Gemächer, in ein klein Gemach, welches durch eine spanische
Wand noch um die Hälfte kleiner gemacht war, die Kaiserinn zu
erwarten. In wenigen Secunden, kam die Fürstinn von Traut-
son, machte uns abermals ein sehr gnädig Compliment, und
versprach uns die baldige Ankunft Ihrer Majestät. Die er-
folgte in wenigen Minuten, in Begleitung obiger drey Erzherzo-
ginnen. Wir setzten uns auf das linke Knie und küßten die al-
lerhöchste und schönste Hand, die jemals den Zepter geführet
hat. Die Kaiserinn hieß uns mit einem Gesichte, welches auch
in der furchtsamsten Seele, alle die Scheu vor einer so hohen
Gegenwart und wunderschönen Gestalt, hätte in Liebe und Zu-
trauen verwandeln können, aufstehen: wir thaten es, und Sie
hub gegen meinen Mann an: Ich sollte mich scheuen mit dem
Meister der deutschen Sprache, deutsch zu reden. Wir Oester-
reicher haben eine sehr schlechte Sprache. Auf meines Mannes
Versicherung: daß er schon vor 14 Tagen, das reine und voll-
kommene Deutsch bewundert hätte, als Ihre Majestät, bey Er-
öffnung des Landtages, ihre Stände, gleich der Göttinn der Be-

----------[printed page number = "****6r"]----------


redsamkeit angeredet. Hier erwiederte Sie: So? haben Sie mich
belauscht? und setzte mit hellem Lachen hinzu: Es ist gut, daß
ich das nicht gewußt habe; sonst wäre ich stecken geblieben!
Sie wandte sich darauf zu mir, und fragte: wie ich es gemacht
hätte, daß ich so gelehrt geworden wäre? Ich erwiederte: ich
wünschte es zu seyn, um des Glückes, welches mir heute be-
gegnete, und wodurch ganz allein mein Leben merkwürdig wer-
den würde, nicht so gar unwerth zu seyn. Es hieß: sie sind
zu bescheiden: ich weis es gar wohl, daß die gelehrteste Frau
von Deutschland vor mir steht. Meine Antwort war: Meines
Wissens, ist die gelehrteste Frau, nicht nur von Deutschland,
sondern von ganz Europa, Beherrscherinn von mehr als einem
Königreiche. Die Kaiserinn erwiederte: Wofern ich sie kenne;
so irren sie sich. Sie wandte sich wieder zu meinem Manne,
und nach einigen Fragen, die Leipziger Akademie betreffend,
trat jemand in das Zimmer, den ich für den gnädigsten und
wohlgebildetsten Minister des Kaiserl. Hofes würde gehalten ha-
ben; wenn nicht die Kaiserinn gesagt hätte: das ist der Herr!
Hier legten wir uns beyde in die vorige spanische Reverenz und
Se. Majestät der Kaiser (denn der war es), gab meinem Manne
die Hand zu küssen; vor mir aber zog er sie zurück, und hieß uns
beyde aufstehen. Er fieng an mit meinem Manne zu reden,
und die Kaiserinn fragte mich: ob ich bereits viel in Wien gese-
hen hätte? Ich nannte Ihr die vornehmsten Sachen, und auf
Ihre Frage: was mir unter allen am Besten gefallen hätte?
konnte ich, meinem Herzen und Gewissen nach, unmöglich an-
ders antworten, als: Ich wünschte, daß außer Eurer Kaiserl.
Majestät mich irgend jemand in der Welt das fragen möchte.
Das allergnädigste Lächeln, so jemals von einer gekrönten
Schönheit gesehen werden kann, gab mir zu verstehen, daß die-
ser großen Frau auch ein so schlechter Beyfall nicht zuwider war.
Sie erzählte mir darauf, wie die Bibliothek vor einigen Jahren
ein Heumagazin abgeben müssen, worauf das Gespräch allge-
mein ward: und, nachdem die Kaiserinn mir gesaget, wie Sie
es wohl gehöret hätte, daß ich in Wien, sowohl auf der Kai-
serl. Bibliothek, als andertwärts, viel Kenntniß der griechischen

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Sprache verrathen, fragte mich Se. Majestät der Kaiser: wie
viel Sprachen ich denn verstünde? Konnte ich Ihm wohl mit
Wahrheit anders antworten, als: Allerdurchlauchtigster Herr!
eigentlich keine recht! Beyde höchste Personen begehrten also mit
Lächeln die Antwort von meinem Manne, der denn ein Regi-
gister von meiner Sprachwissenschaft machte, das ich ihn ver-
antworten lasse
⋆) mn6

⋆ ) Noch eine Frage mit ihrer Beantwortung und Gegenantwort
muß ich hier ergänzen, so die Selige ausgelassen hat. „Ha-
ben Sie denn auch Familie, fragte die gnädigste von allen Kai-
serinnen. Nein! allergnädigste Frau, erwiederte die Selige,
so glücklich bin ich nicht. Ach! sie meynen das sey ein Glück,
Kinder zu haben; versetzte die Kaiserinn: allein sie bringen einem
auch viel Sorgen. Die Sel. E. Kais.Majestät werden diese Last
am wenigsten empfinden, da die ge schicktesten Personen von Dero

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Königreichen Ihnen dieselbe erleichtern helfen. Der Kaise-
rinn Majestät: Ey man hat doch auch seine Verdruß da-
von. Nun, ich wünsche, daß die Wiener Luft ihnen wohl
bekommen möge! die Selige: ich würde mir das größte Ge-
wissen machen, Eurer Kaiserl. Majestät einen Unterthan zu
entführen. Der Kaiserinn Majestät: Ey! ich schenke ih-
nen denselben von ganzem Herzen: nehmen sie ihn in Gottes
Namen mit.

. Nach einigen fernern Reden und Gegenre-
den, fragte uns die Kaiserinn: ob wir den Erzherzog gesehen
hätten? Als wir mit Nein antworteten, befahl Sie ihn zu ho-
len. Er kam mit seinem Oberhofmeister, dem Grafen Bathiani,
und nach dem Handkusse, redten beyde Kaiserl. Majestäten mit
meinem Manne allerley, diesen jungen Herrn betreffend. Be-
sinnen Sie sich, mein Engel! was ich oben von dem engen
Raume gesagt; und daß wir nunmehro 10 Personen im Zimmer
waren, folglich einander so nahe stunden, daß nothwendig der
Kaiser beynahe meinen Mann, und ich die Kaiserinn berühren
mußte, so sehr ich mich auch an die Wand drängte. Das war
aber noch nicht genug: sondern es kam auch noch die Prinzeßinn
Charlotte (des Kaisers Schwester) hinein. Mein Mann gieng
zum Handkusse; und ich nahm Anstand weil ich mich bey der
Kaiserinn vorbey dringen mußte. Diese Frau aber, die in der
Gnade alle Hoffnung übertrifft, hieß mich mit der freundlichsten
Mine, Sie vorbey, und hinzutreten. Ich that es, und bald darauf
sagte die Kaiserinn: Nun, Sie müssen meine andern Kinder auch
sehen: worauf wir abermals zum Handkusse, wie das erste
mal, kamen, und die sämtl. Herrschaft uns verließ. Die Für-
stinn Trautson führete uns hierauf zu den drey übrigen kleinen
Engeln, die wir in zweyen Zimmern beym Frühstücken und un-

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ter der Aufsicht der Gräfinn Sarrau, fanden. Wir küßten
die kleinen Durchl. Händchen allerseits, und wurden hernach in
alle Kaiserl. Zimmer geführet, welches eine außerordentliche
Gnade ist, die dem 1000ten Fremden nicht geschieht. Wir
kehreten zurück und speisten zu Mittage bey dem Fürsten Die-
trichstein, allwo wir die Gräfinn Harrach, Fürstinn von Lich-
tenstein, den Grafen Khevenhüller, und mehrere Excellenzen fan-
den, die alle uns gratulirten und bezeigten, daß wir mit ganz
außerordenlicher Gnade wären empfangen worden.

Ich weis, daß Sie an diesem unserm Glücke Antheil neh-
men, und das ist die einzige Ursache, warum ich es Ihnen be-
richte. Uebrigens aber bitte ich dieses Blatt zu verbrennen;
und keiner Seele zu sagen, was darinnen steht; damit man mich
nicht für hochmüthig halte. Nie ist die Gnade weiter gegangen,
und niemals bin ich mir in meinen Augen kleiner vorgekom-
men, als mich die Ueberzeugung von meiner Unwürdigkeit ge-
machet hat. &c. &c.

"

Ich überlasse es allen Lesern zu beurtheilen, wie groß
der Ruf, von dieser ungemein gnädigen Audienz, theils in
Wien selbst, theils hernach in ganz Deutschland geworden.
Sie hatte wenigstens dreyviertel Stunden gedauret: indes-
sen, daß im Vorzimmer der stark versammlete Hof nicht be-
greifen konnte, warum die Kaiserl. Herrschaft sich so spät
in die Kapelle verfügete, darinn der Gottesdienst auf Dero
Ankunft warten mußte. Und wie groß war die Verwun-
derung, als man bald erfuhr, daß ein paar sächische

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Fremdlinge diesen Aufschub veranlasset hätten! In ganz
Wien sah uns nachmals alles wie ein Wunder an, die wir
solcher höchsten Gnade gewürdiget worden. Ihre Kaiserl.
Königl. Majestät hatte Befehl gegeben, uns den österreichi-
schen Schatz, wo alle Kostbarkeiten des erzherzoglichen Hau-
ses bewahret werden, und dessen Vorzeigung, sonst allen
Fremden 6 Ducaten zu kosten pflegt, ohne allen Entgeld zu
zeigen:

Unter andern, erhielt ich auch in dieser Aufwartung,
von Ihrer Kaiserl. Majestät die gnädigste Erlaubniß, die
von der Seligen übersetzte Geschichte der Pariser‐Akademie
der schönen Wissenschaften
, Dero allerhöchstem Namen zu-
zueignen. Als nun in etlichen Tagen dieselbe endlich aus
Leipzig anlangete; so ward solche wirklich, von mir zwar
Sr. Kaiserl. Majestät, die mich in Dero großem Audienz-
zimmer, auf den Stufen Ihres Thrones stehend, vor sich
zu lassen geruheten; von der Seligen aber, durch die vor-
treffliche Fürstinn von Trautson, der Kaiserinn, die sich
den Tag nicht recht wohl befand, zu Füßen geleget. Un-
sre Abreise aus Wien war nur bis auf diesen Punkt ver-
schoben worden: aber wir erhielten noch denselben Abend,
ehe wir uns in den Wagen setzten, durch des Hrn. Grafen
Esterhasi Excellenz, die erfreuliche Nachricht, daß dieses
Opfer unsrer Uebersetzerinn gnädigst aufgenommen worden;
und daß Ihre Kaiserl. Majestät solches ehestens, durch deut-
liche Merkmaale ihrer Gnade, an den Tag legen würden.

Es vergiengen in der That kaum wenige Wochen, als
wir schon vernahmen: daß die Kaiserl. Königl. Geschenke
für uns beyde, in den Händen des Hrn. Grafen Esterhasi
in allen vornehmen Gesellschaften bey Hofe wären gesehen
worden. Des Kaiserl. Ministers in Dresden, Hrn. Gra-
fen von Sternberg Haushofmeister, brachte sie darauf nach

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Dresden, und überantwortete sie des hochsel. Hrn. Cabi-
netsministers Grafen von Wackerbart Excellenz, meinem
sehr gnädigen Herrn, und großen Beschirmer so lange er
gelebet hat; dessen Andenken mir allezeit theuer seyn wird.
Durch diesen bekam auch der Königl. und churprinzliche Hof
dieselben noch eher als wir beyde zu sehen. Endlich erhielten
auch wir diese unschätzbare Gnadenzeichen, von so erhabe-
nen Händen: die Selige zwar eine brillantene Prunknadel
von besondrer Erfindung; die von Kennern auf die 1000.
Thaler geschätzet wird: ich aber eine gleichfalls mit Bril-
lanten besetzte goldene Tabatiere, die wenigstens halb so viel
werth seyn mag: Denkmäler einer Gnade, die an sich selbst
schon weit höher, als das alles zu schätzen war.

Was war nun billiger, als daß die Wohlselige den
nächsten zweyten Band dieses Werkes, mit einem allerun-
terthänigsten Dankschreiben an die große Monarchinn be-
gleitete, von der sie so vieler Achtung gewürdiget worden
war! Es ist selbiges poetisch, als eine Elegie abgefasset,
und man sieht wohl aus allen Zeilen, daß ihr Herz darinn
geredet hat. Z. E. bald im Anfange heißt es:

Das stralenreiche Pfand, das Du mir zugesendet,
Das Pfand von Deiner Huld, erhabne Kaiserinn!
Hat Deiner Großmuth Bild in meiner Brust vollendet,
Und zeigt wie groß du bist, und wie gering ich bin.
War es denn nicht genug, mir Ehr und Glück zu schenken,
Daß meine Lippen dir die schönste Hand geküßt?
Kann Deine Gnade noch entfernt an mich gedenken?
Und zeigt ein Kleinod mir, wie gnadenvoll Du bist?
Ach! Allerhöchste Frau! was brauchst Du reicher Gaben?
Wer einmal Dich gesehn, wünscht ewig Dein zu seyn.
Wenn andre kaum den Mund der Unterthanen haben,
So sind aus freyer Wahl viel tausend Seelen Dein.

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Mein Herz hat stets für Dich, und für Dein Wohl geschlagen,
Dein Glück, Dein Unglück hat es jederzeit bewegt.
Dieß will ich überlaut der ganzen Erden sagen:
Es ist der einzge Werth, den es noch in sich hegt.

Und bald hernach, wo sie den Charakter der Kaiserinn
schildert:

Ein jedes Wort verräth den Ausbund hoher Seelen,
Und Habsburgs Kaiserblut von dem Du abgestammt.
Die Staatslist lehret Dich kein künstliches Verheelen,
Dein Mund zeigt uns ein Herz, das voller Tugend flammt.
O! welch ein seltnes Herz voll Königlicher Triebe!
Das so erhaben denkt, als hoch es Gott gesetzt;
Das sich in Thaten zeigt, und bloß nach Menschenliebe,
Der Fürsten Vorzugsrecht und wahre Größe schätzt.
Auch Thronen können nicht vor der Verachtung schützen;
Dafern der feinste Witz ein böses Herz versteckt.
Dein Geist kann ungescheut aus offnen Augen blitzen,
Weil hier der schönste Leib ein schönes Herz bedeckt.

Doch ich müßte hier das ganze Gedicht einrücken, welches
man aber in der folgenden Sammlung im Zusammenhange nachlesen kann.

Da ich das Schreiben der Wohlseligen, an das vor-
treffliche Fräulein Thomasius mitgetheilet; so sey mirs hier
auch erlaubt, noch ein Gedicht, oder poetisches Sendschrei-
ben einzuschalten, welches ich zu spät in dem Briefwech-
sel mit derselben gefunden habe, und das billig auf der 126sten
S. als das 10. Schreiben, hätte stehen sollen.

10. Schreiben.
An das Fräulein Thomasius, in Nürnberg.

Dich, theure Freundinn, grüßt dieß freundschaftsvolle Blatt,
Das seinen ganzen Werth von diesem Glücke hat.
Nimm es, das treuste zwar, doch schlechtste meiner Lieder:
Mit Mühe schreib ichs hin, mit Ekel les' ichs wieder.

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So daß ein scheues Roth die Wangen überdeckt.
Weil mich Dein kennend Ohr bey jeder Zeile schreckt.
Schon lange hast Du mir als Meistrinn vorgesungen;
Schon lange hat mein Geist Dir heimlich nachgedrungen;
Doch wenn ich schreiben will, so bin ich Zweifels voll,
Weil Herz und Geist bedenkt, vor wem ich singen soll.
Was soll dir, Meisterinn! dieß Blatt voll rauher Töne?
Dir, Nürnbergs stete Zier! Dir, Deutschlands klügste Schöne!
Die mit verneutem Glanz den großen Namen führt,
Der Deutschlands Wissenschaft auf ewge Zeiten ziert.

Jedoch du brauchst ihn nicht, recht hoch empor zu schweben
Man nehm den Namen Dir; Du wirst Dich selbst erheben;
Und Dein erhabnes Herz, ganz Deutschland sieht es ein,
Wird durch den Vater groß, durch sich noch größer seyn.
Ein schwacher Epheu nur muß sich auf Eichen winden,
Um nicht den Untergang in Sumpf und Koth zu finden:
Die junge Ceder steht der alten Ceder gleich;
Wie jene, stark durch sich, wie jene kronenreich.
Verdienste sind es bloß die Deinen Ruhm vermehren;
Verdienste, die Dir selbst, nicht Fremden zugehören;
Verdienste, die das Chor der Schwestern stutzig sieht;
Doch um die Aehnlichkeit sich nur umsonst bemüht.
Es ist nur eine Kraft den großen Seelen eigen:
Wohin der Adler steigt, kann keine Taube steigen.
Drum wenn mein Rohr erschallt, so macht man leicht den Schluß,
Hier singt die Kulmus nur, nicht die Thomasius.
O gehst Du allen vor; was wollt ich neidisch sehen?
Mich dünket es ein Ruhm vor Dir beschämt zu stehen.
Dein Kiel, der Männern trotzt, sich selber Kronen flicht,
Muß nur bewundert seyn: ihm gleichen kann man nicht.

So tröstet freylich sich des Herzens Eigenliebe!
Allein was hilft wohl dieß dem zarten Seelentriebe,
Der von Begierde brennt, Dir noch ein Lied zu weihn,
Das Deiner würdig ist? Dieß sollt das Ende seyn
Von meiner Dichterey: und könnt ich dieß vollenden;
So legt ich froh den Kiel aus den zu schwachen Händen

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Wie manchen heitern Tag, wie manche stille Nacht
Hab ich, geliebtes Herz! an diese Pflicht gedacht.
Wie oftmals war mir auch der Anfang schon gelungen;
Doch hat die bange Furcht den Fortgang stets bezwungen.
Noch gestern fielen mir fünf matte Strophen bey:
Doch ein gerechter Grimm riß Blatt und Schrift entzwey.
Du zweifelst? Gut: ich will sie noch zusammen flicken;
Und Dir den schönen Kram zu Papillotten schicken.

Zulange sucht ein schwaches Wollen,
Die Treue Dankpflicht Dir zu zollen,
Die jetzt die matte Muse bringt:
Zu strafbar ist hier das Verweilen;
Drum, theure Freundinn! Nimm die Zeilen:
Die Lieb empfindt; die Freundschaft singt.

Die Freundschaft soll mein Lied beleben:
Sie wird es durch sich selbst erheben;
Dieß ist der Werth der Dir behagt.
Ein andrer sing in stärkern Tönen,
Die Witzigste der deutschen Schönen:
Genug, ich fühle was er sagt.

Zu lange fast hab ich geschwiegen,
Da mit entzückendem Vergnügen,
Dein Reim mich oftmals angelockt.
O! schilt nicht daß ich säumen wollen!
Ich bin zu schwach, die Pflicht zu zollen;
Nur billig scheu, und nicht verstockt.

Es wird mir freylich nicht gelingen,
So stark, als Richter singt, zu singen,
Den keines Kenners Ohr verhört:
Drum forsche nicht nach feinem Witze;
Das kleine Gut, was ich besitze,
Ist dieses Herz, das Dich verehrt.



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Schon lange brannt in meinem Busen,
Du, schönste Zierde deutscher Musen,
Ein Trieb voll Ehrfurcht gegen Dir.
Ich war nur scheu, ihn zu bekennen,
Und soll ich Dir die Ursach nennen:
Dein Witz und Feuer fehlten mir.

"

Was sagst Du Freundinn! nun? Urtheilt ich nicht mit Recht,
Dieß Lied sey nicht für mich, doch wohl für Dich, zu schlecht?
Drum da Dir niemand gleicht, so schilt nicht mein Verzagen;
Was keiner leisten kann; das mag auch ich nicht wagen.
Die Nachwelt ahme Dir mit starken Tönen nach;
Für ein so schweres Werk ist unsre Zeit zu schwach.
Der Himmel der Dich uns zum Wunder setzen wollte;
Der stellte Dich so hoch, daß keiner folgen sollte.
Und räumt er mir zum Trost noch einen Vortheil ein;
So wird er lediglich in unsrer Liebe seyn.
Du liebst mich, und ich will Dich zehnmal höher achten,
Hier will ich Theure! Dich zu übertreffen trachten.
An treuer Zärtlichkeit weis ich Dir vorzugehn,
Bey diesem Ziele soll mein Ehrgeiz stille stehn.


Hier schließt dieß matte Blatt, Du Freundinn wirst es lesen;
Und wenn Du dieses thust, ists Deiner werth gewesen.
Der Freundschaft heilig Band, das unsre Herzen bindet,
In dem mein zärtlich Herz sein schönstes Glück empfindet,
Sey unzerstörlich fest, bis einst mein Augenlicht,
Verdunkelt werden muß, des Lebens Faden bricht.

So fuhr nun die Wohlselige mit ihrer unternommenen
großen Arbeit beständig fort. War dieser II. Band ihrer
Geschichte 1750 an Ostern im Drucke erschienen, so erschie-
nen in der Michaelmesse der III. und IV; im 1751sten Jahre
der V. und VIte; im 1754sten der VII. und der VIII.; der
IXte 1756, und der Xte 1757. worauf der XIte 1758 mit den

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Registern den Schluß machete. Was nun dazu für eine
Arbeitsamkeit gehöret habe, das wird nur derjenige recht
einsehen können, der dieß ganze Werk auf einmal vor Au-
gen hat: der Geschicklichkeit voritzo nicht zu erwähnen, wo-
mit sie alles bewerkstelliget hat.

Gleichwohl hatte auch diese große Arbeit ihren Fleiß
nicht sattsam ermüden können. Denn in der Lücke des
1753sten Jahres, die man bemerket haben wird, wo der
Verleger einigen Stillstand im Drucken verlanget hatte, lie-
ferte sie in des Liegnitzischen Buchhändlers, Hrn. Siegerts
Verlage, den I. und II. Band der sogenannten Memoires
oder ausführlichen Abhandlungen
, eben dieser Königl.
Akademie der schönen Wissenschaften, in gleichem
Formate und Drucke; würde sie auch ferner fortgesetzet ha-
ben, wenn der Vertrieb derselben in dieser Handlung so
stark, als in der Krausischen gewesen wäre.

Diese neue Arbeit widmete die Wohlselige Ihrer Kö-
nigl. Hoheit, der durchlauchtigsten Churprinzeßinn zu Sach-
sen, der sie bereits in Dresden einmal, auf erhaltenen ho-
hen Befehl hatte aufwarten müssen; als ich die Gnade hat-
te, denenselben meine Uebersetzung Dero Singgedichtes:
La Conversione di S. Agostino, in Dero Wohnzim-
mer vorzulesen. Die Uebergabe dieses Buches aber ge-
schah hier in Leipzig, als Ihre Königl. Hoheit hier auf der
Messe waren. Sie ward gnädigst aufgenommen: und er-
hielt das hohe Versprechen: wenn sie einmal wieder nach
Dresden käme, ein Andenken dafür zu erhalten. Und diese
gnädige Verheißung ward ein paar Jahre hernach reichlich
erfüllet, eben als die oben erzählte Begebenheit, mit der un-
gleichen Heurath
vorgegangen war.

Diese großmüthige Prinzeßinn nämlich, erlaubte der
Seligen damals nicht nur, im türkischen Palais, der Auf-

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führung ihres wälschen vortrefflichen Singespiels, Il
Triomfo della Fedeltà
beyzuwohnen: wobey sich doch
nur Personen vom höchsten Range des Hofes befanden;
und wo die Durchl. Verfasserinn und Componisten des Stü-
ckes selbst die Hauptrolle der Nice sangen; sondern geruh-
ten auch, sich der Seligen am Ende gnädigst zu nähern, und
dieselbe als eine Musikverständige, um ihr Urtheil von dem
ganzen Stücke zu befragen; ja sie zu des Durchl. Chur-
prinzen Königl. Hoheit zu führen, die sich mit ihr in ein
gnädiges Gespräch einließen. Des Tages darauf aber,
übersandten Sie derselben einen kostbaren Porcellan-Auf-
satz von 5 großen Vögeln zum Geschenke. Es sind drey
Papageyen und ein Paar Grünspechte, die mit wunderwür-
diger Kunst, so wohl in Bildung und Stellung, als in
den Nebenverzierungen, von Raupen, Käfern und Kir-
schen, in die Augen fallen. Es hat niemand hier in Leip-
zig solcherley Aufsatz von so ansehnlicher Größe; und
Kenner wissen den Werth derselben auf etliche 100 Thaler
zu schätzen: zu geschweigen, daß die Hand, daher sie kom-
men, und die Gnade der Durchlauchtigsten Geberinn, an
sich schon unschätzbar sind.

Noch mehr. In eben diesem Jahre, oder vielmehr
im Sommer und Herbste des vorigen, lieferte sie auch die
vollständige Sammlung aller Streitschriften, über
das vorgebliche Gesetz der Natur, von der kleinsten
Kraft in den Wirkungen der Körper
, die zwischen dem
Herrn Präsidenten von Maupertuis zu Berlin, Herrn
Prof. Königen in Holland, Hrn. Voltairen, u. a. m. ge-
wechselt worden, in breitkopfischem Verlage; welche auch
so schnell abgieng, daß sie 1753 an Ostern zum zweytenmale
vermehrter erschien: als eben Herr von Voltäre Berlin
verließ, und sich einen ganzen Monath allhier aufhielt.



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Hier war es nun wohl Zeit, der Wohlseligen einige
Veränderung zu machen, und ihr von solchen Bemühun-
gen eine Ruhe zu gönnen, zumal sie im vorigen Sommer,
ein heftiges doppeltes Tertianfieber ausgestanden hatte. Ich
that also mit ihr eine Lustreise, über Naumburg, Erfurt,
Gotha und Eisenach, nach Cassel. An allen diesen Orten
fanden wir Freunde und Gönner, die uns wohl aufnah-
men, und alle Merkwürdigkeiten zeigten. In Naumburg
bezeugte sich die Frau geheime Räthinn von Seckendorf
sehr freundschaftlich gegen dieselbe; und ihr Gemahl zeigte
uns die Seltenheiten der dasigen Domkirche. In Erfurt
besahen wir die dasigen Merkwürdigkeiten, und die Selige
lernte eine gute Dichterinn daselbst kennen, die nicht sehr be-
kannt geworden, ob sie gleich von Göttingen den poetischen
Lorberkranz zugeschickt bekommen. In Gotha hatte sie nicht
nur die Ehre der Frau geh. Räthinn von Buchwald aufzu-
warten, welche sie schon in Altenburg kennen gelernet; son-
dern auch bey der Durchl. Herzoginn eine gnädige Au-
dienz zu erhalten. Ja wir genossen auch beyde die Ehre,
an die Tafel der Durchl. jungen Herrschaft gezogen zu wer-
den. In Cassel ebenfalls, genoß die Selige das Glück
des vor kurzem verstorbenen Prinzen Maximilians, Durchl.
Frau Wittwe, und ihren beyden Prinzeßinnen, aufzuwar-
ten; ja auch des damaligen Durchl. Erbprinzen, und itzt-
regierenden Herrn Landgrafen Frau Gemahlinn königlicher
Hoheit vorgestellet zu werden, welche ihr denn allerseits
mit vieler Gnade begegneten.

Als ich dem Durchl. damals regierenden Landgrafen
Wilhelm zu Wilhelmsthal aufwartete, wo derselbe eben
mit dem Baue seines prächtigen Lustschlosses beschäfftiget
war, und an dessen Tafel zu speisen die Gnade hatte, ward
die Wohlselige mit unsrer übrigen Gesellschaft, aus der Herr-

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schaftlichen Küche mit Speisen versorget. Indem wir
uns aber nach der Tafel in dem dasigen prächtigen Garten
umsahen, und sonderlich die unvergleichliche Grotte betrach-
teten, näherten sich der Durchl. Landgraf, nebst Dero Erb-
prinzen unsrer Gesellschaft, und geruheten sich mit der Wohl-
seligen in ein gnädiges Gespräch einzulassen; auch in un-
srer Gegenwart selbst bey den chinesischen Gartenhäusern
Dero ausländisches Geflügel, oder Federvieh zu füttern:
gewiß ein sehr anmuthiges Schauspiel, da diese sehr zahm
gewordenen Vögel den sie lockenden Herrn haufenweise um-
ringeten, ja ihm auf Kopf und Schultern flogen.

Eben dergleichen Gnade wiederfuhr der Wohlseligen
im Bade zu Geismar, dahin uns der Durchl. Erbprinz, und
dermalige regierende Landgraf, ihn zu besuchen eingeladen
hatte. Auch hier ward sie mit ihrer Gesellschaft, meinem
Bruder und seiner Gattinn, von der fürstl. Küche mit
Speisen bedienet, indessen daß ich an der fürstl. Tafel zu
essen die Ehre hatte. Als nach Tische der gewöhnliche Ball
in dem Saale des Gartens für die anwesenden Badegäste
eröffnet ward, tanzete der Durchl. Erbprinz zuförderst mit
denen daselbst befindlichen adelichen Damen; indessen, daß
die Wohlselige mit ihrer Schwägerinn im Garten spazierete.
Bald aber schickte dieser gnädige Prinz ein Paar Cavallier,
auch diese fremden zum Tanze einzuladen, und aufzuziehen.
Und kaum hatte der geh. Kriegsrath von Riedesel meine
Freundinn losgelassen, als der Durchl. Erbprinz sie selbst
auffoderte, und ein Menuet mit ihr tanzete. Eine lange
Unterredung, die er hernach mit ihr am Fenster stehend
hielt, handelte von den neuesten witzigen Schriften der Eng-
länder und Franzosen; darinn dieser Herr keine geringe
Kenntniß und Belesenheit verrieth.



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Nach dem nun die Selige in Cassel auch die dasige
Hochfürstl. Bibliothek, das Kunst‐ und Modellhaus, die
so prächtige Aue mit dem sehenswürdigen Lorberbaume, und
endlich den wundersamen weißen Stein, nebst dem erstaun-
lichen Herkules betrachtet hatte, woselbst wir alle Wasser
haben springen sehen; die weder in Deutschland, noch sonst
irgendwo in fremden Landen ihres gleichen haben; giengen
wir, in einer kleinen Tagereise nach Göttingen. Hieselbst
erwartete uns ein sehr werther Freund und Gönner, Herr
Hofrath Richter, der uns sein Haus zur Herberge gütigst an-
gebothen hatte: weil er, als ein gebohrner Sachs, es für sei-
ne Obliegenheit ansah, ein Paar Fremdlinge aus seinem
Vaterlande, und Mitbürger auf dem Helikon zu bewir-
then. Er that solches auch mit aller ihm eigenen Höflich-
keit: da zumal sein sel. Herr Bruder allhier, mein beson-
derer College, und dessen sel. Gattinn, der meinigen sehr
vertraute Freundinn gewesen; deren Tod sie auch in einer
rührenden Elegie besungen hatte.

Wir fanden in Göttingen viel Gönner und Freunde,
Herrn Kanzler von Mosheim, Herrn geh. Justitzrath Ge-
bauer, Hrn. Hofrath Gesner u. a. mehr, die sich mit ih-
ren Gemahlinnen um die Wette bemüheten, der Wohlseli-
gen den dasigen Aufenthalt gefällig und angenehm zu ma-
chen. Die Frau Kanzlerinn von Mosheim, führte nach
einem ansehnlichen Mittagsmahle, dieselbe in ein pantomi-
misches Lustspiel, dergleichen damals in Göttingen war.
Sonst besah sie die dasige Bibliothek und Hörsäle, wohnte,
dem Gottesdienste in der akademischen Kirche bey; und
machte sich auch die schönen Sammlungen und Cabinetter
des Herrn Hofrath Richters bekannt. Kurz sie erwarb sich
bey diesem scharfsinnigen Kenner von Verdiensten diejenige
Achtung, die er ihr auch nach ihrem Tode in einer unver-

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gleichlichen Elegie erwiesen, welche man in der folgenden
Sammlung a. d. 381 S. lesen wird. So viel kann ich wohl
sagen, daß sie an des Hrn. Hofraths lateinischen und deutschen
Gedichten jederzeit einen besondern Geschmack gefunden.

Von hier giengen wir nach Hannover: wo die Selige
abermal Gelegenheit fand, große und gelehrte Männer
kennen zu lernen, und schöne Sachen zu sehen. Des Hrn.
Staatsministers von Schwichelt Excellenz, bathen sie nebst
mir zur Tafel; wo sie von der Frau geh. Räthin Excellenz,
und einigen andern vornehmen Damen sehr vieler Achtung
gewürdiget ward. Eben dieser treffliche Minister schickte
uns in seiner Equippage nach Herrnhausen, wo uns nicht
allein der Pallast mit allen seinen Zimmern, sondern auch
der Königl. Garten, mit den wunderwürdigen Wasserkün-
sten springend gewiesen wurden. Auch das Churfl. Schloß
in Hannover selbst, die Kostbarkeiten der Hauptkirche und
die vortreffliche Bibliothek, woselbst Leibnitzens berühmter
Rechenkasten zu sehen ist, wurden von ihr besehen, und in
Augenschein genommen. Hrn. Hofrath Werlhof, und
Hrn. Hofrath Scheid, lernte sie gleichfalls kennen; und so
reisten wir, nach 8tägigem Aufenthalte nach Braunschweig,
wo eben die Laurentiimesse den Anfang genommen hatte.

Hier hatten wir die Ehre und das Vergnügen, im Hause
des Kaiserl. Herrn Postmeisters im niedersächsischen Kreise,
und braunschweigischen Drosten, Freyherrn von Münch-
hausen, aufgenommen zu werden; dessen würdige Frau
Gemahlinn, als die jüngste Gräfinn von Manteufel, die
Selige bereits hier in Leipzig vieler Gnade und eines leutse-
ligen Umganges gewürdiget hatte. Wir genossen auch in
diesem vornehmen Hause alles möglichen Vergnügens, sa-
hen Opern, Pantomimen und Redouten im öffentlichen
Schauplatze, besahen Antonettenruh, und Salzdah-

----------[printed page number = "*****5v"]----------


len, und lernten allerley vornehme und gelehrte Leute
kennen.

Sonderlich wiederfuhr der Wohlseligen die Ehre, daß
der Durchlauchtigsten Herzoginn Königl. Hoheit, durch
den Hrn. Abt. Jerusalem, die Selige zu einer besondern Au-
dienz einladen ließ. Es war Sonntags nach der Vesper,
als sie sich in den grauen Hof tragen ließ, und daselbst
durch viele Zimmer zu dieser erleuchteten und höchstgnädi-
gen Prinzeßinn geführet ward. Da Ihre Königl. Hoheit
sich etwas länger mit ihr zu unterhalten Willens seyn moch-
ten, so setzten Sie sich; ließen aber derselben ein Tabouret
setzen, und befahlen ihr, sich nieder zu lassen. Hier wollte
ich wünschen, daß Sie selbst auch diese Unterredungen be-
schrieben hätte. Allein daran fehlt es, und ich selbst bin nicht
dabey gewesen. So viel erinnere ich mich noch, aus Erzäh-
lungen, daß von den alten lateinischen, und neuen fran-
zösischen Dichtern, namentlich vom Horaz, und Hrn. von
Voltaire die Rede gewesen, deren Verdienste die Durchl.
Herzoginn, als eine große Kennerinn, beurtheilet hat. Die
Selige kam sehr vergnügt wieder in die Gesellschaft, die sie
vor einer guten Stunde verlassen hatte, und wußte die ihr
bezeugte Gnade nicht sattsam zu rühmen.

Allein Ihro Königl. Hoheit ließen es bey einer so ge-
heimen Gnadenbezeugung nicht bewenden. Als wir einen
Abend im Nikolinischen Schauplatze um den verlarvten Tän-
zen, oder Redouten zuzusehen, in einer Loge waren,
die ganz nahe bey der herrschaftlichen Hauptloge war; wur-
den Dieselben meiner Gattinn gewahr, näherten sich von
freyen Stücken der unsrigen, und geruheten öffentlich, vor
den Augen vieler tausend Zuschauer, mit ihr zu sprechen.
Ein gleiches thaten gleich darauf die Durchlauchtigsten Prin-
zeßinnen dieses überaus gnädigen Hauses: so wie auch die

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Herzogliche, nunmehr in Gott ruhende Durchl. Frau Mut-
ter, einige Tage vorher die Selige hatte zu sich holen las-
sen, um sie von Person kennen zu lernen; und sie über
ein kostbares Gemählde zu befragen, welches der Herzo-
ginn aus Wien, als ein Kaiserl. Familienstück, zugesandt war.
Denn da wir nur vor drey oder vier Jahren am Kaiserl.
Hofe gewesen waren; und die junge Herrschaft gesehen hat-
ten: so verlangten Ihre Durchl. von der Aehnlichkeit der
Bildnisse der sämmtlichen Erzherzoge und Erzherzoginnen
versichert zu seyn.

Nach so rühmlichen Unterscheidungen, so die Selige
daselbst genossen hatte, verließen wir nun Braunschweig ganz
vergnügt, und giengen über Quedlinburg und Halberstadt,
allwo uns der berühmte Dichter, Herr Hofrath Lichtwer,
sehr viele Höflichkeiten erwies, sodann durch Aschersleben und
Halle wieder nach Leipzig; und hatten große Ursache, mit
allem dem, was uns auf dieser Lustreise wiederfahren war,
vollkommen zufrieden zu seyn.

Mit den Schriften der Seligen war ich oben bis ins
1757ste Jahr gekommen; und in diesem übersetzte dieselbe
noch des Abts Terrassons Philosophie, nach ihrem allge-
meinen Einflusse, auf alle Gegenstände des Geistes und
der Sitten; welche ich mit einer Vorrede ans Licht stelle-
te. Der berühmte Verfasser, dessen Sethos die Selige
allemal vorzüglich geliebet, und noch kurz vor ihrem Ende
zum drittenmale durchgelesen, hatte im Französischen die
Philosophie des Moeurs, vor die Philosophie de
l'Esprit gesetzet. Da aber seiner Uebersetzerinn dieses ver-
kehrt zu seyn schien, nahm sie sich eine Freyheit, die sich
die Franzosen sehr oft bey Büchern, die sie verdollmetschen,
genommen haben. Sie setzte das letzte zuerst; und stellte
dadurch die natürliche Ordnung wieder her, ohne dem Werke

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Schaden zu thun. Ja sie nahm sich auch die Freyheit, in
den Capiteln, wo der Verf. von der katholischen Religion
geredet hatte, ihre eigene Gedanken, als eine Protestantinn
an die Stelle zu setzen. Wer sie mit Bedacht liest, wird
hier eine Art des Glaubensbekenntnisses finden, die viel-
leicht das stärkste im ganzen Buch heißen kann. Dieß
Buch nun eignete ich der Durchl. verwittweten Fürstinn
von Zerbst zu; welche wir durch der berühmten Frau
Gräfinn von Bentink Excellenz, geb. Reichsgräfinn von
Oldenburg, nach ihren großen Eigenschaften hatten kennen
gelernet.

Hier ist nun der Ort, die besondere Gnade, ja so zu re-
den, die vertraute Freundschaft zu rühmen, der diese große
und geistreiche Dame die Wohlselige ein ganzes Jahr lang
allhier gewürdiget hat. Sie war 1754 im Christmonathe
aus Zerbst hieher gekommen; und hatte sichs gleich folgendes
Tages gnädig gefallen lassen, bey uns einen Abend zuzu-
bringen; da uns eine geheime Ahndung getrieben hatte,
Dero Bekanntschaft zu suchen. Diese beyde Seelen nun
schienen für einander geschaffen zu seyn. Es vergieng in
diesem ganzen Jahre fast kein Tag, da sie einander nicht
gesehen, nicht etliche Stunden und lange Abende, ja halbe
Tage gesprochen hätten. Am öftesten war die Frau Grä-
finn bey uns; und sehr oft mußten wir bey Ihr zu Mit-
tage, oder des Abends speisen. Aus diesem so often Um-
gange, ward bey gleich fähigen Köpfen und Gemüthern,
endlich die vertrauteste Freundschaft, die sich auch bis ans
Ende des Lebens der Wohlseligen fortgesetzet hat: wie aus
dem rührenden Condolenzschreiben der Frau Gräfinn er-
hellen wird.

Die erste Frucht von dieser Bekanntschaft war, daß
die Selige, auf der Frau Gräfinn inständiges Verlangen,

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das Vorspiel: der beste Fürst, ausarbeiten mußte, wel-
ches den 24. Oct. selbiges Jahres, an dem Geburtstage
dieser Durchl. Fürstinn, zu Zerbst auf der Hofbühne,
durch einige Edelknaben und andre Hofbediente aufgefüh-
ret ward. Die Frau Gräfinn ließ selbiges hier ungefähr
funfzigmal abdrucken, um es an dasigem Hofe, und hier
an ihre Bekannten auszutheilen: mehrere Abdrücke aber zu
machen, wollte die Verfasserinn, aus gewissen Besorgnis-
sen, durchaus nicht erlauben. Da auch die Frau Gräfinn
in ihrem Gefolge, einige junge Edelleute, nebst einem Hof-
meister derselben, und die Kinder ihres Haushofmeisters,
bey sich hatte: so ward auch hier derselbe Jahrstag ihrer
höchstverehrten und geliebten Fürstinn, durch Vorstellung
des besten Fürsten, in den Zimmern der Frau Gräfinn
Excellenz, in Curtiußischen Hause am Markte, gefeyret: wo-
zu sie alle ihre Bekannten eingeladen hatte. Man sehe das
Stück selbst, in der folgenden Sammlung gleich im An-
fange.

Diese kleine Bemühung, einer so vortrefflichen Für-
stinn zu Ehren, brachte der Wohlseligen das gnädigste
Danksagungsschreiben von derselben zuwege; ja zog einen
langen und vertraulichen Briefwechsel nach sich, der bis
ans Ende der Durchl. Fürstinn, gewähret hat, welches
voretwa drey Jahren in Paris erfolgete. Kann ich ein-
mal der Briefe der Seligen an diese erhabene Prinzeßinn,
von Zerbst her, theilhaftig werden: so will ich der Welt,
an diesem Briefwechsel kein unangenehmes Geschenk vor
Augen legen, desgleichen wohl noch nicht vorhanden ist:
wo die geistreicheste und gnädigste Prinzeßinn, mit einer
Person ihres Geschlechts, und von den Gaben der Wohlse-
ligen, in einer langen Vertraulichkeit gestanden, und sol-
che durch die auserlesensten Federn gegen einander erkläret

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[haben]. Wenigstens wird Frankreich alsdann an seiner Sevigne
nichts mehr vorausbehalten, worauf es trotzen, und seinen
Nachbarn Hohn sprechen könnte.

Die zweyte Folge davon war, daß diese Durchl. Cor-
respondentinn im nächstfolgenden 1756sten Jahre, kurz vor
dem ausgebrochenen blutigen Kriege, die Wohlselige hier
in Leipzig persönlich besuchete. In dem Leben der berühm-
ten Anna Maria Schurmanninn, liest man nicht ohne
Verwunderung, daß sie die große Königinn Christina aus
Schweden, bey ihrer Reise durch Holland, sie eines gnädi-
gen Besuches gewürdiget. Eben dergleichen Ehre wie-
derfuhr hier der Seligen, von einer Fürstinn, die zwar
selbst keine Krone trug, aber einen König zum Bruder
hatte, und eine Kaiserinn zur Tochter zu haben, von der
Vorsicht ersehen war: die übrigens, an Gelehrsamkeit und
Geiste, jener berufenen Königinn nichts nachgab; an Tu-
gend hingegen sie weit übertraf. Ich muß mich etwas deut-
licher erklären.

Das ganze Hochfürstl. Zerbstische Haus hatte sich vor-
genommen, zu einiger Gemüthsergetzung und Veränderung,
einmal unerkannt, Dresden zu sehen; und wählte dazu
den Heumond des 1756sten Jahres. Der Durchl. regie-
rende Fürst, mit seiner hochsel. Frau Gemahlinn Durchl.
und der vortrefflichen Frau Mutter Königl. Hoheit, kamen
also zuförderst in Leipzig an, um sich mit einigen nöthigen
Kleidungen zu versehen, ehe sie nach der Königl. Residenz
fortgiengen. Ein gnädiges Handbriefchen von der letztern
an die Wohlselige ward Sonntags früh, durch einen
fürstlichen Bedienten überbracht, darinn ihr gemeldet
ward: daß Ihre Königl. Hoheit hier wären, und sie ge-
gen Abend besuchen wollten. Es half nichts, daß selbige
der Durchl. Fürstinn aufzuwarten sich erboth: Dero Wil-

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len und Befehl war es, daß sie den hohen Besuch bey sich
erwarten sollte; doch mit dem Bedinge, daß es hier im
Hause niemand wissen müßte, damit kein Zusammenlauf
von Leuten entstünde. Ich selbst aber machte draußen dem
ganzen hohen Kleeblatte Fürstl. Personen die Aufwartung,
hatte auch die Gnade, das junge Fürstenpaar in den hiesigen
vornehmsten Gärten, bis um 8 Uhr des Abends, herum zu
führen; indessen, daß die verwittibte Hochfürstl. Frau Mut-
ter sich um 5 Uhr in einem Tragsessel bey der Wohlseligen
eingefunden, und sich ganzer zwey Stunden bey derselben
auf die gnädigste Art zu verweilen geruhet hatte: ein Be-
such, der ihr die größte Ehre machte, und daran sie nach-
mals nicht ohne Entzücken gedenken konnte. Ihr nach-
maliger früher Tod in Frankreich, hat auch eben da-
her der Gesundheit der Wohlseligen einen sehr harten Stoß
gegeben; und nichts in der Welt ist vermögend gewesen, sie
über diesen Verlust völlig aufzurichten.

Die Frau Gräfinn von Bentink indessen, hatte zu
derselben ein so völliges Vertrauen gefasset, daß sie ihr
nicht nur die Aufsicht über die jungen Edelleute mit ih-
rem Hofmeister, sondern auch über einige andere hier be-
findliche Hausgenossen auftrug, die sie nicht mit sich neh-
men wollte, als sie im Christmonathe desselben 1[7]55sten
Jahres nach Wien gieng; sondern auch alle ihre Einkünfte
aus Ostfrießland durch ihre Hände gehen ließ, um sie nach
Wien übermacht zu bekommen. Diese beliefen sich jährlich
auf viele 1000 Thaler; und diese wurden von der Wohlse-
ligen allemal zu völligem Vergnügen der Frau Gräfinn,
eingenommen, umgesetzet, zum Theil ausgegeben, zum
Theil übermachet und berechnet. Ja selbst die Zucht der
jungen Leute gieng unter ihrer Aufsicht, in den ersten krie-
gerischen Jahren, recht gut von statten; bis die Frau Grä

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finn nach der Schweiz gieng, und sie gleichfalls dahin kom-
men ließ. Der vertraute Briefwechsel aber, der zwischen
beyden bestund, hörte in den letzten Kriegsjahren damals
allererst auf, als es bisweilen gefährlich schien, nach Wien
zu correspondiren: wie man aus dem beweglichen Condo-
lenzschreiben der Frau Gräfinn in diesem Ehrenmaale mit
mehrerm ersehen wird; welches der Seligen so viel Ehre
machet.

Im 1756sten Jahre, als der Krieg unser Sachsen so
hart zu drücken anfieng, übersetzte die Selige den I. Band
von des Hrn. Beaumelle Geschichte der Frau von Mainte-
non

⋆) mn7

⋆ ) Z. E. Seine Majestät lasen die Zuschrift vor dem Lockenraube,
an die Durchl. Herzoginn von Gotha, den Anfang des Gedich-
tes selbst, und das Schreiben an die Marquisinn von Chatelet;
billigten und lobten sie alle; ja Sie übersetzten gar, dem Abte
Desprades zu gut, das letzte mündlich ins Französische, um den-
selben von ihrer vernünftigen Art zu denken zu überführen. Und
als Sie ein französisches Schreiben von ihr lasen, darinn sie

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an die Frau Gräfinn von Bentink das Sinngedicht des sel.
Grafen von der Lippe (S. die 157 S. dieser Sammlung)
beurtheilet hatte: billigten Sie nicht nur die Kritik derselben,
sondern setzten auch, was die Schreibart anlanget, das Urtheil
hinzu: Sie glaubten nicht, daß es noch vier Personen in
Deutschland gäbe, die so gut französisch schrieben: welches auch
HerrDespradesbestätigte.

. Eine gute Freundinn von ihr, die Frau Oberstlieut-
nantinn von Runkel, übersetzte den zweyten, und ich den
dritten; so daß wir sie alle drey 1757 gedruckt liefern konn-
ten. Dieß wandte nun zwar die Gedanken der Seligen
auf eine Zeitlang von den Gräueln des Krieges ab: allein
diese nahmen auch im folgenden Jahre kein Ende. Und
gleichwohl nahm dieselbe das harte Schicksal unsers Landes
und sonderlich des Hofes, viel mehr zu Herzen, als irgend
ein Mensch in Leipzig, oder sonst ein gebohrner sächsischer
Unterthan, gethan haben mag. Das machet, alle ihre
Empfindungen waren sehr lebhaft, und ihre Leidenschaften
heftig; zumal wenn sie glaubte, daß die Ehre mit im
Spiele wäre: und das glaubte sie damals von der Unter-
drückung Sachsenlandes. Diese ihre Bekümmernisse zu

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lindern und zu zerstreuen, rieth ich ihr, des Hrn. Beau-
sobre neuen Tractat sur le Bonheur zu verdeutschen; und
schaffte in der Haude und Spenerischen Buchhandlung ihr
einen Verleger dazu.

Nach einigem Widerstande übernahm sie die Arbeit
und vollführte sie, so daß sie mit meinen Anmerkungen und
Zusätzen 1758 unter dem Titel: Gedanken über die Glück-
seligkeit, oder philosophische Betrachtungen über das Gute
und Böse des menschlichen Lebens
, ans Licht treten konnte.
Allein meine Absicht, sie durch solches Mittel aufzurichten,
schlug mir fehl: denn der Krieg zog immer ärgere Folgen
nach sich, und wollte gar kein Ende nehmen. Ihr Ge-
müth litt zu viel bey den öffentlichen Drangsalen, als daß
sie einiges Vergnügens hätte theilhaftig werden können.

Selbst als des Königs in Preußen Majestät, in dem
1757sten Jahre bey den öftern und langwierigen Unterre-
dungen, deren Sie mich würdigten, mich viel von ihren
Arbeiten und Schriften befrageten: z. E. ob Sie den Bayle
übersetzet? was sie sonst geschrieben hätte? und worinn ihre
Stärke bestünde? ja endlich von mir verlangten, daß ich
von ihrer deutschen und französischen Feder einige Proben mit-
bringen sollte: hörte sie solches mit einer großen Unempfind-
lichkeit an. Ja als ich des folgenden Tages, ihr die vortheil-
haften Urtheile dieses Monarchen, darauf jeder andre witzige
Kopf stolz geworden seyn würde, mit nach Hause brachte ⋆);

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nahm sie doch dieselben sehr kaltsinnig auf, und änderte
ihre Gesinnungen im geringsten nicht. Alles was preußisch
war, floh und haßte sie aufs äußerste: ungeachtet auch des
höchstsel. Prinzen von Preußen Königl. Hoheit, sich bey
Dero Ankunft nach ihr erkundiget, und sich alle ihre Schrif-
ten angeschaffet hatten.

Im 1758sten und folgenden Jahre, als ich das be-
kannteHandlexicon oder kurzgefaßte Wörterbuch der
schönen Wissenschaften
ans Licht stellete, ward sie abermal
meine fleißige Gehülfinn; und arbeitete mir alle die man-
nigfaltigen Artikel aus, die am Ende mit einem Sternchen
bezeichnet sind. Und hier schlossen sich ihre eigenen gelehrten
Ausarbeitungen.

Das einzige, wozu ich sie noch bewegen konnte, war
folgendes, im 1760sten Jahre. Ich hatte des berühmten
Freyherrn von Bielefeld Lehrbegriff der Staatskunst zu
übersetzen übernommen: und da dem Verleger damit gedie-
net war, daß beyde Bände 1760 an Ostern ans Licht tre-
ten sollten: so wollte mir bey andern Arbeiten und Hinder-
nissen die Zeit zu kurz werden. Ich mußte also zu ihrer
Hülfe meine Zuflucht nehmen; woran es mir bedürfenden
Falles noch niemals gefehlet hatte. Sie ließ sich auch dieß-
mal im Winter 1760 willing finden, und übersetzte mir ver-
schiedene Hauptstücke des II. Bandes, gegen das Ende.
Allein sie war nicht mehr im Stande, sitzend mit der Feder
in der Hand zu arbeiten; theils wegen des Zitterns ihrer
Hände, theils weil das lange Sitzen ihr beschwerlich fiel.
Sie dictirte es also, auf und niedergehend, einem Schreiber in
die Feder: und dieß ist leider! ihre letzte Uebersetzung in
der Welt gewesen.



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Doch zwo Arbeiten der Wohlseligen habe ich noch ver-
gessen: denn auch das fähigste Gedächtniß ist kaum ver-
mögend, alle Proben ihres außordentlichen Fleißes zu behal-
ten. Schon im 1749sten Jahre, ehe wir noch nach Wien
giengen, gab die Wohlselige eine neue Sammlung auserlese-
ner Stücke, aus Popens, Eachards, Neutons und andrer
Schriften ans Licht, die sie zum Zeitvertreibe aus dem
Engländischen übersetzet hatte. Aus Popen hatte sie das
vortreffliche Leben Homers gewählet, welches er vor dessen
Ilias gesetzet hatte. Allein sie erläuterte dasselbe auch noch
durch Anmerkungen, die sie aus dem Life of Homer,
eines Ungenannten, entlehnete; und durch allerhand eigene
Gedanken. Aus Eacharden, hatte sie seine Betrachtun-
gen über den hobbesischen Stand der Natur
, in einem Ge-
spräche zwischen dem Hobbes und Timotheus genommen;
ein sehr lustiges und doch gründliches Werkchen, darinn
die ganze hobbesische Sittenlehre zu Boden geschlagen wird.
Das dritte Stück war eine kurze Beschreibung von Frank-
reich, darinn ein sehr satirischer Charakter von den Ein-
wohnern und Gebräuchen dieses Königreiches gegeben
wird: welche allem Ansehen nach aus Addisons Feder ge-
flossen war, als er seine Reise von Italien heraus gegeben.
Das IV. Stück endlich war Neutons kurzgefaßte Chrono-
logie von den ältesten Dingen in Europa, bis auf Alexan-
ders des großen Eroberung von Persien.

Das II. was ich vergessen habe, ist eine Abschrift des
Goldastischen Manuscripts, von den ältesten deutschen Lie-
derdichtern des XIII. und XIV. Jahrhunderts. Der be-
rühmte Rechtsgelehrte, Schobinger, war Besitzer der alten
kostbaren Handschrift gewesen, die itzo in Paris ein Klei-
nod der Königl. Bibliothek abgiebt; und davon man uns

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zu Zürich eine übelgerathene Probe hat drucken las-
sen. Ich hatte entdecket, daß Goldast, ein Freund von
Schobingern, sich zu eigenem Gebrauche eine Abschrift davon
gemachet, die nach seinem Tode auf die bremische Stadt-
Bibliothek gekommen. Herr Hofrath Madai, mein sehr
werther Freund, hatte die Güte, mir dieses Werk auf ein
paar Monathe hieher zu verschaffen: und meine sel. Freun-
dinn ließ sich die große Mühe nicht dauren, mir diesen star-
ken Folianten, mit aller kritischen Richtigkeit abzuschreiben.
Sie vollführte diese mühsame Arbeit vom 23sten März 1754.
bis zum 11. May desselben Jahres, und also innerhalb sechs
Wochen und drey Tagen: Eine Probe ihres unsäglichen
Fleißes, die allen, so sie sehen, als ein Wunder vorkom-
men muß.

So habe ich nun dieß beschäfftigte, dieß fleißige, dieß
so zu reden, unermüdete Leben, eines Frauenzimmers be-
schrieben, das seines gleichen gewiß wenig, ja vieleicht gar
nicht in der Welt gehabt hat. Die letzten zwey Jahre
nämlich, sind bey ihr fast kein Leben, sondern ein beständi-
ger Gram, und Kummer; die aber auch durch die zuneh-
mende Schwäche ihres Körpers sehr genähret wurden, zu
nennen gewesen. Ihre Musik gerieth ganz ins Vergessen;
und sie sah sie allmählich mit Ekel an. Ihr Schlaf, ihre
Lust zum Essen verlohr sich; und ihr Magen konnte fast
keine gewöhnliche Speise mehr vertragen. Ihre Hände,
die sonst so unermüdeten Hände, zitterten, und selbst ihre
Schritte wanketen. Mehr als ein halb Jahr vor ihrem
Tode schon, ist sie nicht mehr aus ihrem Hause gekommen:
außer als sie acht Tage zuvor, auf Vorschrift ihres Arztes,
sich auf eine Woche in mein kleines Gärtchen tragen ließ,

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um daselbst, bey der schönen Frühlingsluft sich mehr Be-
wegung zu machen, und sich dadurch zur Lauchstädter Ba-
decur zu bereiten; die man ihr, zu Stärkung ihrer schwa-
chen Nerven, angerathen hatte.

Eine einzige Ausnahme ward hier gemachet, als die
hochgebohrne Gräfinn Caroline, geb. Gräfinn Henkel von
Donnersmark, die sich vor wenig Tagen an den Herrn
Oberstwachtmeister von Sydov vermählet hatte, im Jänner
des 1762sten Jahres hier eintraf, und sich ein paar Wochen
hier aufhielt. Diese verdienstvolle und vortreffliche Dame,
die selbst mit allen Musen in Verbindung steht, und so
schön dichtet, als die Davidsharfe spielet und singet, bezeugte
so viel Verlangen, die Wohlsel. kennen zu lernen; daß sie, so
krank sie schon war, sich nicht entbrechen konnte, derselben auf-
zuwarten. Sie that es ein paar male, nicht sonder Be-
schwerde; und hatte die Ehre, nicht nur sehr gnädig, ja lieb-
reich aufgenommen, sondern auch von ihr wieder besuchet,
und mit einem sehr schönen Ringe beschenket zu werden.
Dieß Ehrenmaal selbst pranget mit einer Grabschrift, die
aus der Feder dieser hochgräflichen Muse geflossen ist.

Doch ich muß bey den Umständen ihrer Krankheit
nichts verschweigen; wenn es gleich etwas tiefer in die Arz-
neykunst treten sollte. Von so merkwürdigen Personen,
die zumal in einem mittlern Alter sterben, ist man begierig
auch die geringsten Ursachen ihres Todes zu wissen. Seit
dem sich bey ihr gewisse weibliche Zufälle verlohren hatten,
und das war im Anfange des Krieges geschehen, ward sie
von einer starken Vollblütigkeit beschweret, die ihr viel Un-
gemächlichkeiten zuzog. Ein öfteres Aderlassen linderte ihr
zwar dieses Leiden, allein immer nur auf kurze Zeit: und

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als die Aerzte endlich Bedenken trugen, sie so oft des Blu-
tes zu berauben, fand sich schon ein Jahr vor ihrem Tode
ein ander Uebel, das noch ungleich empfindlicher war, als
alles vorhergehende. Es waren Bestrebungen der Natur,
zur goldenen Ader: die ihr aber so schmerzlich wurden, daß
sie selbige mit gutem Rechte, eine bleyerne Ader zu nennen
pflegte. Um Ostern 1761 empfand sie dieselbe zum ersten-
male, und mußte sich etliche Wochen hinter einander damit
quälen, bis sie endlich, mehr von sich selbst, als durch Arz-
neyen nachließ. Um eben die Zeit des 1762sten Jahres,
fand sich diese Plage abermal ein, aber so, daß ihre Mar-
ter dabey verdoppelt schien; und sie zu dem jämmerlichsten
Aechzen und Seufzen zwang, wenn die Angriffe derselben
sie überfielen. Es betrafen sie auch die letzten Winter hin-
durch öftere Ohnmachten, so daß sie gleichsam, wie in ei-
nen tiefen Schlummer fiel, der Viertel— ja halbe Stun-
den lang anhielt. Jenes Uebel aber dauerte nunmehr, bis
an ihr Ende, mit solchem Leiden und Jammer, daß es ei-
nen Stein hätte erbarmen mögen, wenn man sie Wim-
mern und Winseln hörete.

Sie sah bey dem allen, das letzte halbe Jahr vor ih-
rem Ende, dasselbe ganz deutlich vorher, und redete von ih-
rem Tode, als von einer gewissen und nahen Sache. Sie
scheuete denselben nicht, sondern schickte sich zu demselben
an, als eine Person, die der Welt überdrüßig war, und
den Eingang zu einem bessern Leben wünschete und hoffete.
Noch acht Tage vor ihrem Ende, als sie im Gärtchen auf
und nieder gieng, und bemerkte, daß der benachbarte Tisch-
ler an einem Sarge arbeitete; sagte sie: da machet der
Tischler meinen Sarg! Es währte kaum ein paar Tage

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darauf, als sie in währendem Nachmittagsschlummer,
von einer Apoplexie gerühret ward; die ihr aber noch wei-
ter nichts, als die Zunge lähmete. Denn beym Erwa-
chen konnte sie kein Wort mehr deutlich sprechen; und muß-
te sich nur durch Gebärden zu verstehen geben. Ich ließ
ihren Beichtvater, Herrn M. Scharfen, Diaconus an
der Thomaskirche, zu ihr kommen, den sie mit vieler Ge-
lassenheit und Rührung anhörete. Da sie ein Verlangen
bezeugte, aus dem Garten wieder in unsre Wohnung ge-
bracht zu werden, willfahrte ich ihr, die Mittwoche vor
Johann: und die Nacht darauf gegen den Morgen betraf
sie ein neuer Angriff der Apoplexie: doch so, daß sie
noch ihren völligen Verstand behielt. Am Johannstage
besuchte sie ihr Geistlicher abermal, ja selbst Herrn D. und
Prof. Barths Hochwürden, der früh in der Paulinerkirche
sie im Gebethe Gott vorgetragen hatte, besuchte sie,
und redete ihr auf eine bewegliche Art zu. Sie war den
Nachmittag noch so munter, daß sie sich etwas ankleiden
ließ, und durch alle ihre Zimmer etlichemal auf und nieder-
gieng; auch ihrer Wartfrau, die bis dahin durchwachten
Nächte, selbst bezahlete, und sich darauf wieder zu Bette
legte, um den Zuspruch einiger Freundinnen, die sie be-
suchten, anzunehmen. Folgende Nacht schlief sie zeitig
ein, und ruhete bis an den Morgen, da ihr ein neuer
Schlag die rechte Hand lähmete. Ich redete ihr zwischen
sieben und acht Uhr zu, sich das heilige Abendmahl rei-
chen zu lassen, welches sie bewilligte. Als ich aber kaum
den Diener fortgeschicket hatte, den Geistlichen zu ruffen,
traf sie der letzte Anfall des Schlages so heftig, daß sie
bey einem lauten Ruffe, auf die linke Seite geworfen ward,
und alle ihre Empfindungen zu verlieren schien. In die-

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ser geraden und ordentlichen Stellung dauerte nun ihr letz-
ter Todeskampf, ganzer 24 Stunden: und es war um-
sonst, daß ihr Medicus, der sel. Herr D. Janke, der ihr
ein halbes Jahr hernach im Tode folgte, mit Beyrathe
des berühmten Herrn D. Ludewigs, obersten Professors der
Arzneykunst allhier, ein spanisches Fliegenpflaster zu le-
gen verordnete. Als selbiges zwölf Stunden am Schenkel
gelegen hatte, war zwar die äußerste Haut von der Stelle
aufgezogen, aber kein Tropfen Wasser in der Blase befind-
lich: ja sie hatte nicht die geringste Empfindung davon bli-
cken lassen.

So war denn alle Hoffnung verlohren, und ich nebst den
umstehenden Freundinnen und Bedienten, die es weder an
Handreichung und Bedienung, noch an Singen und Bethen
hatten fehlen lassen, sahen ihrer Auflösung entgegen. Mit
was für Rührung aber ich selbst dabey die Abnahme ihres
Seufzens und Stöhnens, und das Ermatten der Pulsschlä-
ge an ihrer Hand, die ich beständig in der Meinigen hielt,
wahrgenommen, kann nur derjenige begreifen, der selbst eine
geliebte Person sterben gesehen. Sie war außerdem die er-
ste in meinem Leben, bey deren Ende ich zugegen gewesen: wel-
ches meine Empfindungen also doppelt lebhaft machete. Ihr
letzter Seufzer und Pulsschlag kam endlich, unter meinem an-
dächtigen Zuruf, der sie der gnädigen Hand ihres Schöpfers
empfahl: und so verlohr ich eine jederzeit zärtlich geliebte
Freundinn, die mir ihre Liebe und Zärtlichkeit, sonderlich in den
ersten und meisten Jahren, so redlich erwiesen, und mir so
viel Ehre bey Hohen und Niedrigen gemachet hatte! Sie
aber erlangte, wie billig war, dasjenige, was sie selbst in
einem Gedichte a. d. 111. Seite dieser Sammlung sich ge-
wünschet hatte:



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Der Himmel schenke Dich so lange nur der Welt,
Bis Deine letzte Treu, mir noch die Gruft bestellt.
Denn kann ich nur dereinst in Deinem Arm erkalten;
So will ich selbst den Tod, mir für ein Glücke halten.
Mehr wünsch ich itzo nicht."

Diesen letzten Dienst nun, die Bestellung ihrer Gruft,
habe ich mit dem besten Wohlstande, nach den Sitten unsers
Ortes, vollführet. Ich ließ bey ihrer Einsenkung ein paar
geistl. Oden absingen, und gedruckt austheilen, die sie selbst ver-
fertiget hatte. Meine Thränen haben ihr dabey alle Gerech-
tigkeit wiederfahren lassen; und meine wehmüthige Betrübniß
hat mich das ganze Jahr her, nicht wenig abgezehret, so daß es
der ganzen Stadt sichtbar gewesen.

Das Bedauren ihres Todes ward in Leipzig allgemein;
sobald man ihn von den Kanzeln erfahren hatte. Auch solche
vornehme und mittelmäßige Häuser, mit denen wir niemals
in einiger Verbindung gestanden, bezeugten mir ihr Beyleid.
Alle aber, denen ich denselben schriftlich bekannt machte, ga-
ben mir ihre Theilnehmung an meinem Schmerze aufs leb-
hafteste zu erkennen. Die meisten dieser Schreiben, habe
ich der Erblaßten zu Ehren, in diese Sammlung ihres Eh-
renmaales abdrucken lassen: da ich nicht sehen kann, was poe-
tische Condolenzen für einen besondern Vorzug haben sollten,
einen Todten zu ehren? Die meiste Ehre wiederfuhr ihr
aber wohl, durch das gnädigste Beyleid, welches Se. Königl.
Hoheit, der Durchl. Prinz von Preußen, mir vorigen Herbst,
zu bezeugen geruheten. Sie erklärten sich nämlich, bey mei-
ner Aufwartung sogleich: daß Sie mit vieler Rührung den
Tod der Sel. in den Zeitungen gelesen hätten; und setzten
hinzu: daß dieß ein Verlust für ganz Deutschland, ja für die
ganze gelehrte Welt gewesen. Eben so gnädig geruheten
des Durchl. Prinzen Heinrichs, des obersten Befehlshabers

----------[printed page number = "******5v "]----------


des sächsischen Kriegsheeres, Königl. Hoheit sich auszudrücken.
Sie begehrten so gar von mir, daß ich ihnen die ganze Krankheit
nebst den Umständen ihres Todes ausführlich erzählen muß-
te; bemerkten auch aus meinem Ansehen, daß ich in diesem
Jahre merklich abgenommen hätte. Dieß Ehrenmaal, wo-
mit ich über ein Jahr beschäfftiget gewesen, wird vollends zei-
gen, wie hoch ich sie geschätzet, und wie hoch sie von andern
geschätzet worden. So hoffe ich nun ihrer Asche ein besseres
Denkmaal gestiftet zu haben, als wenn ich ihr ein langes aus-
gekünsteltes Klagegedicht angestimmet hätte; ein Ehrenzei-
chen, das sehr zweudeutig ist, und dabey auch der beste Dich-
ter für die juckenden Ohren unsrer heutigen Welt sehr wenig
neues mehr leisten kann; nachdem so viel andre große Poe-
ten unsers Vaterlandes sich schon in diesem Felde geschickt
und groß erwiesen haben. Zudem hatte ich von meiner sel.
Freundinn viel was anders und größers zu sagen und zu rüh-
men, als alle meine Vorgänger von den ihrigen gehabt, und
als alle Verse fassen können. Weit gefehlt auch, daß die
Unsterblichkeit ihres Namens von mir entspringen sollte;
wie sie einmals aus Bescheidenheit vermuthet hat, als sie schrieb:

Mein Gottsched, Du allein;
Und daß Du mich geliebt, das soll mein Lorber seyn.
Daß Du mich hast gelehrt, daß Du mich unterwiesen,
Das wird der Nachwelt noch, durch manches Blatt gepriesen.
Wer solche Meister hat, da stirbt der Schüler nicht:
Wenn ihm gleich das Verdienst zur Ewigkeit gebricht.
So leb ich denn durch Dich: wie könnt ich schöner leben?
Dein Ansehn wird mir schon, Lob, Ruhm und Ehre geben."

so wird sie von der eigenen Vortrefflichkeit ihres Geistes, und
der Geschicklichkeit ihrer Feder herrühren: so lange es noch
Verstand und Witz, und Kenner guter Schriften, in Deutsch-
land geben wird.

----------[printed page number = "******6r"]----------


Nichts ist übrig, als noch eine Abbildung ihres morali-
schen Charakters zu geben: dabey ich aber nicht, nach Art
mancher künstlichen Maler unsrer Zeiten, mit meiner Spitz-
findigkeit zu pralen, sondern, bloß die Natur nachzuahmen
suchen werde. Ihre äußerliche Gestalt, hat unsers geschick-
ter Hrn. Bernigerods Grabstichel besser verewiget, als alle
meine Beschreibungen thun könnten. Ein gemahltes Bild
von ihr, das von unsers Hofmalers Hrn. Hausmanns Pinsel
kömmt, soll unsre Pauliner—Bibliothek aufzubewahren be-
kommen; und wird sie destomehr zieren, da es das einzige und
erste Frauenbild auf derselben seyn wird.

Ihre Gemüthsart war von blöder, oder besser zu sagen,
von bescheidner Art. Sie versprach dem Anscheine nach in
Gesellschaften nicht viel, leistete aber destomehr; wenn man
ihr erst ein Vertrauen abgewonnen hatte. Alle ihre Worte
und Reden waren wohl überlegt, und so richtig abgefasset,
als ob sie geschrieben, oder gedruckt werden sollten. Sie such-
te aber niemals mit einem schimmernden Witze zu glänzen.
Mit ihrer Gelehrsamkeit pralte sie auch niemals, zumal in
Gegenwart des Frauenzimmers; um demselben niemals
zum Ekel zu werden. Selbst Gelehrte hatten Mühe, die-
selbe auf gelehrte Unterredungen zu lenken; wie Herr Hof-
rath Triller ihr mit Rechte nach gerühmet. Nur ein paar
Fälle weis ich, wo sie, die Frau Gräfinn von Bentink zu
vergnügen, theils an ihrer Tafel, den sel. Hofrath Rich-
ter aus Dresden, Seiner Königl. Hoheit des Churprinzen
Antiquar, einen großen Münzenkenner, über die Contor-
niaten der Alten; theils den sel. Prof. Christ, der auf
einer Reise der Frau Gräfinn nach Halle, mit in ihrer
Kutsche war, über die griechischen Kaisermünzen, welche
das Wort Conob zeigen, sehr merklich in die Schule ge-
führet. Diese gelehrten Leute, die überhaupt auf die Pari-

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lb/>ser— Akademie der schönen Wissenschaften nicht viel hielten
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Hier muß ich noch als einen Umstand, welcher der Seligen
zu Ehren gereichet, anführen, daß die Königl. Akademie, ihr
die neuen Theile ihrer Histoire und Memoires, die in dem
kleinen holländischen Nachdrucke noch nicht befindlich waren,

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so wie sie heraus kamen, allezeit zugeschicket. Herr Rath und
Prof. Schöpflin zu Straßburg, hatte allemal den Auftrag dazu,
und that der Wohlseligen öfteren die Ehre, ihr dabey zu schreiben,
und solches zu melden.


wurden ganz verwirrt, als die Selige ihnen eben aus die-
sen Schriften, die sie sehr wohl inne hatte, solche Knoten
aufzulösen gab, als sie sich von ihr nicht vermuthet hatten.
Aber sonst ist sie gewiß mit ihrer Kenntniß dieser und andrer
Stücke niemanden beschwerlich gefallen.

In der Religion, war sie ohne allen Aberglauben got-
tesfürchtig, und ehrete ihren Schöpfer und Erhalter auf-
richtig, aber ohne Pralerey. Sie las fleißig die Schrift,
sonderlich das Buch Hiobs und die Psalmen, die sie fast
auswendig konnte. Außerdem liebte sie Caspar Neumanns
Lieder und Kern aller Gebethe, die sie auch des Nachts al-
lezeit an ihrem Bette liegen hatte, und bey schlaflosen
Stunden zu lesen pflag. Sie liebte nichts so sehr, als die
Betrachtungen der Natur, sonderlich bey Thieren und
Pflanzen, die auf die Ueberzeugung von dem Daseyn, und der
weisen Vorsehung eines höchsten Wesens führeten. Schon
in ihrer frühen Jugend hat man sie bey gestirntem Himmel,
auf einer unbedeckten Galerie ihres väterlichen Hauses, auch
bey sehr kalten Abenden, ganze Stunden, stehend gefunden,
um die prächtige Bühne des glänzenden Himmels zu be-
trachten. Sonderlich war sie eine Liebhaberinn des Mon-
denlichtes, welches ihr viel reizender, als das gar zu helle
Sonnenlicht vorkam. Und bis an ihr Ende ist ihr dieß
Nachtgestirn, sehr merkwürdig vorgekommen: seit dem sie
mit dem gregorianischen Sehrohre, oft zu ganzen Stun-

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den seine Flecken und tägliche Veränderungen wahrgenom-
men hatte.

Der weiblichen Neigung zu kostbarem Putze, vielem
Geschmeide, und prächtigen Kleidern war sie gar nicht er-
geben. Ungeachtet ihr nichts gebrach, was zu einem stan-
desmäßigen Anzuge gehörte; da sie wohl gar einen Ueberfluß
an schönen und theuren Stücken davon hatte: so sah man
sie doch sehr selten damit angezogen und geschmücket. In
den letzten sieben, ja zehn Jahren ihres Lebens, hat sie die
besten ihrer Kleidungen nicht einmal an ihren Leib gebracht:
ja selbst das Kleinod aus den Händen der Kaiserinn, wo-
mit sie so billig hätte prangen können, hat sie in ihrem Le-
ben, kaum drey oder viermal an das Haupt gestecket.
Nichts war ihr lieber, als eine ungekünstelte, einfache und
reinliche Tracht. Und was war für sie anständiger? da
sie ja in den Augen aller derer, die sie kannten, gleich jener
Königstochter in der Schrift, (im 45. Ps.) inwendig viel
herrlicher geschmückt war. Gleichwohl ward es ihr auch in
den letzten Jahren verdrüßlich und zur Last, wenn sich al-
lerley Fremde melden ließen, die begierig waren, eine so
berühmte Frau von Person kennen zu lernen? Bin ich
denn ein Wunderthier, fragte sie, daß man mich immer se-
hen will? Und so ließ sie sich, etwan ein Jahr vor ihrem
Tode, selbst von des Herzogs Georg Ludewig von Holl-
stein K. H. der sie, als er mir die Gnade that, mich zu
besuchen, gleichfalls sprechen wollte, nur ungern, und mit

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großer Kaltsinnigkeit sprechen. In die Stammbücher aber
schrieb sie seit vielen Jahren niemanden mehr ein, seit dem
sie gewisse unartige Bezeugungen gegen Einschriften des
Frauenzimmers erfahren hatte.

Ihre Hauptneigung indessen war die Ehrliebe; die sie
aber in lauter edeln und wirklich guten Sachen, auch nicht
bey den Unwissenden, oder dem Pöbel, sondern allemal bey
wahren Kennern suchte. Sie redete aber mit jedermann
leutselig und freundlich; war auch gegen Fremde überaus
liebreich und gastfrey. Ihre Menschenliebe zeigte sich durch
ihre Wohlthätigkeit gegen viele Armen, die ihr als wirk-
lich nothleidend, und der Freygebigkeit würdig, bekannt ge-
worden. Ja selbst gegen die Thiere war sie mitleidig: wie
sie denn des Winters, zumal wenn viel Schnee gefallen
war, vor ihrem Fenster auch fremde Tauben und Sperlinge
fütterte, die gleichsam täglich ihre Kostgänger wurden.

Ihre Wirthschaftsangelegenheiten, an Küche, Wä-
sche und Kleidungen, besorgte sie ohne alles Geräusch aufs
ordentlichste. Ihre Ausgabe und Einnahme hat sie die
ganze Zeit ihres Ehestandes durch, von Häller zu Pfennig
aufgeschrieben, und jedes Jahr richtig geschlossen. Ja
von allen Arbeiten mit der Nadel, die in einem Hauswesen
vorkommen können, hat sie sehr wenig durch fremde Hände be-
sorgen lassen; wenn sie nämlich nicht einträglichere Arbeiten
unter der Feder hatte, die keinen Aufschub litten. Oft
hat sie sogar meinen Briefwechsel in meinem Namen ge-
führet, und sehr vielen Gelehrten das nöthige geantwortet,
wenn ich mit Geschäfften zu sehr überhäufet war. Auch
die Lästerungen unbescheidener Gegner, die in den schweize-
rischen Händeln, sie oft ohne ihr Verschulden antasteten,
hat sie mit standhafter Großmuth ertragen; und manche

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Schmähschrift meinen Augen entzogen, um meiner Ruhe
zu schonen, wenn sie ihr eher, als mir in die Hände fiel.
Hat sie mir aber ja, in den letzten Jahren etwas von ih-
rer Liebe und alten Vertraulichkeit entzogen, wo ich es ge-
wiß nicht verdienet hatte: so sehe ich solches mehr für eine
betrübte Folge ihrer kränklichen Leibesbeschaffenheit an, die
ich ihr nicht zurechnen kann, als für eine wirkliche Belei-
digung; habe es ihr auch, in Ansehung ihrer vormaligen
ungekünstelten Freundschaft und Zärtlichkeit, nicht im ge-
ringsten zur Last geleget, oder ihre Asche genießen lassen.

Hier ist die Abbildung des Denkmaales, welches ich ihr
in unsrer akademischen Kirche, über ihrem Begräbnisse
mit dieser Inschrift werde aufrichten lassen:


LVDOV. ADELG. VICTORIAE
E GENTE KVLMIA GEDAN.
INGENIO. ARTIBVS. VIRTVTE SCRIPTISQ.
INCLVTAE
CONIVGI SVAVISSIMAE
F. C.
MOESTISSIMVS MARITVS
IO. CHR. GOTTSCHED
NATA GEDANI D. XI APR. MDCCXIII
DENATA LIPSIAE. D. XXVI IVN.
MDCCLXII.

Unter und neben diesem sollen dereinst auch meine
Gebeine verwesen: so wie sie neben dem Ueberreste un-
sers beyderseitigen Freundes, des seligen Professors der
Sittenlehre allhier, Johann Friedrich Mayes, ihre Ruhe-
stäte bekommen hat. Ein glückseligerer Zustand bringe
uns durch die Weisheit und Allmacht des gnädigen Urhe-
bers aller Dinge, dereinst freudig wieder zusammen! Ich
schließe mit den Worten, womit ich vor mehr als 35 Jah-
ren, in einem Singgedichte, den Orpheus seine Euridice
habe beklagen lassen:



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Du hast mein ganzes Herz besessen,
Hinfort besitzt es keine mehr:
Ich habe mich zu hoch vermessen;
Den Meyneid straft der Himmel sehr.
Du lebest noch in meiner Brust,
Du bist und bleibest meine Lust;
Ich kann und will Dich nicht vergessen:
Du hast mein ganzes Herz besessen;
Hinfort besitzt es keine mehr!"